das neue kabinett
: Gedöns wird superwichtig

Die Personen sind das Programm. Ein Superminister für den Arbeitsmarkt und einer für den Osten, eine Superministerin für die Sozialversicherung und eine für die Familienpolitik: Weit mehr als das schnell vergilbende Papier einer Koalitionsvereinbarung demonstriert die Personalpolitik des Kanzlers, wo Gerhard Schröder in den nächsten vier Jahren seine Prioritäten setzen will – zumal er bei der Berufung der sozialdemokratischen Minister nicht vom grünen Koalitionspartner abhängig ist.

Kommentar von RALPH BOLLMANN

Bei Wolfgang Clement, Manfred Stolpe und Ulla Schmidt ergibt sich die Aufwertung schon aus dem vergrößerten Ressortzuschnitt, und Renate Schmidt wurde bereits auf dem SPD-Parteitag im vorigen Jahr als Symbolfigur einer familienpolitischen Erneuerung aufgebaut. Dabei geht es um Ressorts, die bislang kein großes Prestige besaßen und jetzt superwichtig werden. Die Familienpolitik galt dem Kanzler als „Gedöns“, und der Osten wurde in der SPD gerne als Wärmestube für bärtige Weltverbesserer abgetan.

Doch das oft zitierte Wort „Gedöns“, mit dem der Kanzler einst sein Macho-Image festigte, ist ihm längst im Hals stecken geblieben. Schließlich hat er es diesen angeblich weichen Themen zu verdanken, dass er die Wahl trotz mieser Wirtschaftsdaten knapp gewann. Wichtiger als ökonomische Kompetenz war den Wählern die kulturelle Modernität, die Rot-Grün von Edmund Stoiber unterschied.

Offenbar hat Schröder aber auch erkannt: Eine Wende auf dem Arbeitsmarkt, deren Ausbleiben die Wähler kein zweites Mal verzeihen werden, ist ohne „Gedöns“ nicht zu erreichen. So ist die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht nur eine Frage der Gleichberechtigung – sie verschafft den Sozialkassen auch Beitragszahlerinnen, ohne die ein Kollaps unausweichlich ist. Auch die Bildungspolitik ist kein Spezialistenthema mehr, seit schlechte Pisa-Ergebnisse als Gefahr für den Standort gelten. Und dass Deutschlands schlechte Wirtschaftsdaten mit den Problemen im Osten zusammenhängen, ist kein Geheimnis.

Bedenklich stimmt allerdings die demonstrative Lustlosigkeit, mit der das neue Personal die Mammutaufgabe in Angriff nimmt. Wolfgang Clement musste zu seinem Job überredet werden, bei Wolfgang Tiefensee gelang das gar nicht erst. Renate Schmidt hatte sich aus der Tagespolitik schon halb verabschiedet, und Ulla Schmidt gilt als Notlösung. Wenn Personalien etwas über Programme aussagen, ist das kein erfreuliches Bild.