Schlaflos unter Hoppers Dächern

Überraschend, elegant, akrobatisch: Die Companhia de Dança Deborah Colker mit „Casa“ auf Kampnagel

von MARGA WOLFF

Schlicht Casa hat die brasilianische Choreografin und Tänzerin Deborah Colker ihre neue Produktion genannt, die derzeit auf Kampnagel zu sehen ist. In einem Pas de deux macht ein junges Tänzerpaar eingangs gleich deutlich, worum es geht: um eine Balance von Gefühl und Form, die sich in harmonisch kraftvoller Bewegung ausdrückt. Er hebelt Sie in schwebende Schräglagen. Ein sportiver Tanzakt, den die beiden mit spielerischer Leichtigkeit hinlegen und mit intuitivem Gespür für den Moment, in dem die Pose aufzulösen ist. Lockeren Laufschrittes verlassen sie die Bühne, um sich hinten wieder einzureihen, wenn anschließend das 15-köpfige Ensemble im geschmeidigen Tatzengang auf allen Vieren das Spielfeld erobert.

Vor einem Jahr schlug die Compagnie aus Rio de Janeiro mit Rota, ihrem Tanz am Riesenrad, das Hamburger Publikum in den Bann. Auch Casa sucht mit seiner hausähnlichen Bühnenkonstruktion den Raum zu erobern und spielt dabei witzig und frech mit Alltagssituationen. Bühnenbildner Gringo Cardia ließ sich hier von den kühl-realistischen Gemälden Edward Hoppers und von der Bauhaus-Architektur inspirieren.

Der Klarheit dieses Raumes stellt Colkers Choreografie die flexiblen Architekturen der Körper gegenüber. Casa ist ein ganz gewöhnliches Haus im Verlauf eines Tages und einer Nacht, in dem gegessen, geschlafen, gekocht, gewaschen, geliebt und gestritten wird. Der stilisierte Gestentanz der 80er Jahre erfährt hier eine Neuauflage: Nachts schleichen Katzen über das Dach. Schlaflos taumeln zwei Frauen hinter erleuchteten Fenstern. Paare jagen einander die Leitern hoch, gleiten an Stangen anmutig wieder nach unten.

Immer wieder gelingen Colker dabei überraschende Momente. Höhepunkt ist das akrobatische Aus- und Anziehen mit Flugrolle. Und immer neue Angriffsflächen bietet das Haus: Türen und Wände öffnen, schließen und verschieben sich.

Im Tanz am Objekt ist die Choreografin eindeutig stärker. Die Formationen am Boden fallen dagegen recht banal und monoton aus. Charme und jugendliche Frische der technisch topfitten Truppe machen choreografischen Hängepartien allerdings wieder wett.

„Mein Tanz ist wie Brasilien“, hat Deborah Colker, die sich mit ihren 41 Jahren noch mit Biss und Verve in die Riege ihrer Tänzer einreiht, schon des Öfteren betont. Und das heißt: Er steckt voller Energie, vereint Leidenschaft und Ehrgeiz in einer hochdynamischen Allianz. Jenen, die darin traditionelle Samba-Seligkeit vermissen, hält die Compagnie-Chefin einen gesampelten Soundmix entgegen, in den sich neben brasilianischen Zeitgenossen Mendelsohn-Bartholdy und Kraftwerk einreihen: „Immer wollen uns die Ausländer erzählen, was brasilianisch ist. Dabei sind wir diejenigen, die das entscheiden, und wir haben andere, neue, interessante Musik.“

Neun Wochen lang spielten Deborah Colker und ihre Companhia de Dança in Rio de Janeiro 1999 die Choreografie Casa Abend für Abend vor ausverkauftem Haus. Dabei taugt selbst in ihrer brasilianischen Heimatstadt der zeitgenössische Bühnentanz normalerweise nicht zum Massenphänomen.

Die Popularität ihrer Kunst rief denn auch prompt die Skeptiker auf den Plan. Doch die frühere Profi-Volleyballspielerin ist es leid, darüber zu diskutieren, ob ihr Tanz nicht eher Sport oder Akrobatik sei. „Gut gemacht muss er sein, das allein zählt“, sagt sie. „Kommunikation ist das wichtigste Element meiner Arbeit.“ Und da deren Resultate beim Publikum ausnahmslos Begeisterung erzeugen, gibt der Erfolg Deborah Colker Recht.

weitere Termine 18. und 19. Oktober, 20 Uhr, Kampnagel, k6