Solidarisch verbockt

Der Solidarpakt ist endgültig gescheitert, weil Senat und Gewerkschaft sich nicht von der Stelle bewegen. Das Land erwägt nun betriebsbedingte Kündigungen und Mehrarbeit für den Rest

von JÜRGEN SCHULZ

Nach dem Scheitern der vierten Runde der Solidarpakt-Verhandlungen schließt der Senat betriebsbedingte Kündigungen im öffentlichen Dienst nicht mehr aus. „Wir sind nun zu einseitigen Maßnahmen ohne Zustimmung der Gewerkschaften gezwungen.“ So fasste der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit die Aussichten nach den gestern abgebrochenen Verhandlungen des Senats mit den Vertretern der Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes zusammen.

Beide Seiten hatten kaum zwei Stunden getagt, dann traten die Vertreter von Senat und Gewerkschaften mit dem Verhandlungsergebnis vor die Presse. Die Gewerkschaften hatten erwartungsgemäß Lohnkürzungen und Eingriffe in den bundesweiten Tarifvertrag abgelehnt. Wowereit räumte zwar ein „gewisses Verständnis“ für die Haltung der Gewerkschaften ein, angesichts der Haushaltsnotlage der Stadt gebe es zu drastischen Einschnitten aber „keine Alternative“. Dagegen warf DGB-Vizelandeschef Bernd Rissmann dem Senat in ungewöhnlich scharfer Form „Unnachgiebigkeit“ und „politisches Diktat“ vor: „Nicht der Solidarpakt ist gescheitert. Der untaugliche Versuch, auf diesem Weg bundeseinheitliche Regelungen durchzusetzen, ist gescheitert.“

Die Ver.di-Vorsitzende Susanne Stumpenhausen ergänzte, die Gewerkschaften hätten die Verhandlungen nicht „aus Jux und Dollerei“ blockiert. Der Solidarpakt hätte politische Brisanz weit über Berlin hinaus.

Obwohl sich beide Seiten weiterhin als „gesprächsbereit“ gaben, sind nun insgesamt fünf Monate lange Verhandlungen im öffentlichen Dienst gescheitert. Der Senat hatte ursprünglich geplant, über den Solidarpakt 500 Millionen Euro an Personalkosten bis 2006 zu sparen. Zuletzt hatte er den Gewerkschaften eine 37-Stunden-Woche ohne Lohnerhöhungen angeboten. Außerdem sollen die Mitarbeiter im öffentlichen Dienst auf das 13. Monatsgehalt und Urlaubsgeld verzichten. Im Gegenzug wollte der Senat Kündigungen über das Jahr 2004 hinaus ausschließen.

Anschließend stellte der Regierende die nach eigener Aussage „nun nicht mehr vermeidbaren“ Maßnahmen vor: Wowereit plant schon bald den Ausstieg aus bundesweiten Tarifregelungen für die Mitarbeiter im öffentlichen Dienst. Der Senat will die Tarifverträge für die Landesbediensteten bis zum 31. Dezember 2003 kündigen und die Gehälter einfrieren. Verhandlungen über Tarife kann der Senat dann direkt mit den Berliner Gewerkschaften durchführen – und damit das System der Flächentarifverträge verlassen.

Außerdem will der Senat eine Bundesratsinitiative zur Abschaffung des Urlaubsgeldes der Beamten starten und damit eine Sonderregelung der Beamtenbesoldung in Berlin anstreben. „Das heißt, wir wollen über den Bundesrat erreichen, dass wir als Land allein darüber entscheiden können, ob es eine Erhöhung der Gehälter gibt oder nicht“, sagte Wowereit. Das wäre ein bisher einmaliger Vorgang in der Republik.

Desweiteren kündigte Wowereit die Erhöhung der Arbeitszeit der Beamtinnen und Beamten auf 42 Stunden an. Diese Arbeitszeiterhöhung insbesondere bei der Polizei, bei Richtern und Lehrern führe zu sofortigen Einsparungen, da hier – etwa wegen der überalterten Lehrerschaft – in Zukunft ein sehr hoher Bedarf an Neueinstellungen besteht.

Betriebsbedingte Kündigungen sieht Wowereit weiterhin als ultima ratio. Er könne dieses Vorgehen nun nicht mehr vermeiden, da die geplante Bundesratsinitiativen zum einen nicht kurzfristig umsetzbar ist, außerdem möglicherweise sogar vollständig scheitert. „Wir wären dann gezwungen, ab dem Jahr 2005 betriebsbedingte Kündigungen vorzunehmen, und zwar in einer erheblichen Größenordnung – je nachdem wie die anderen Maßnahmen bis dahin greifen.“ Wowereit forderte die Gewerkschaften auf, den Solidarpakt-Vorschlag und die nun geplanten einschneidenden Maßnahmen noch einmal zu prüfen, der Senat sei auf dieser Basis weiterhin gesprächsbereit.

Die Gewerkschaften wollen, so Rissmann, in jedem Fall bis vors Bundesarbeitgericht ziehen, falls der Senat betriebsbedingte Kündigungen ausspricht, was auch wiederum Zeit und Geld in Anspruch nehme. Kein Arbeitsgericht erkenne die jahrelange Misswirtschaft des Berliner Senats an.