Zwischen Pleite und Profit

Bundesumweltministerium kann Obrigheim-Antrag der EnBW ablehnen oder zustimmen. Oder dem Anliegen des Energiekonzerns nur halb nachgeben

FREIBURG taz ■ Politisch steht Jürgen Trittin in der Obrigheim-Frage unter starken Zwängen, rechtlich hat er jedoch viel Spielraum. Den Antrag der EnBW, Strommengen auf das AKW Obrigheim als Regelfall zu übertragen, um dessen Weiterbetrieb zu ermöglichen, könnte Trittin rundweg ablehnen oder ihm in vollem Umfang zustimmen. Gedeckt ist von diesem Ermessen natürlich auch der jüngst zwischen Trittin, Kanzler Schröder und dem Wirtschaftsministerium ausgehandelte Kompromiss. Danach wird Obrigheim nur noch zwei weitere Jahre laufen, beantragt waren fünfeinhalb. Die Strommengen werden nicht vom jüngsten AKW Neckarwestheim 2, sondern vom relativ alten AKW Philippsburg 1 übertragen. Im Atomgesetz ist zwar als Regelfall die Übertragung von Strommengen von älteren auf neuere Reaktoren vorgesehen, weil Letztere vermeintlich sicherer sind. Möglich ist jedoch auch der umgekehrte Weg. Hier ist aber eine Genehmigung des Bundesumweltministeriums „im Einvernehmen“ mit Bundeskanzleramt und Wirtschaftsministerium erforderlich.

Jürgen Trittin kann über entsprechende Anträge also frei entscheiden, solange er sich von der Zielsetzung des Atomgesetzes und nicht von sachfremden Erwägungen leiten lässt. Zweck des Gesetzes ist seit dem „Atomkonsens“ die „geordnete Beendigung“ der Kernkraftnutzung in Deutschland und der Schutz der Bevölkerung vor den Gefahren der Atomenergie. Damit lässt sich viel rechtfertigen, insbesondere auch eine Verweigerung der Stromübertragung auf das älteste deutsche AKW.

Es kommt also gar nicht darauf an, dass Obrigheim anders gebaut wurde als einst genehmigt oder dass in den Jahren 1991 bis 2001 einer von drei Wasserbehältern im Notkühlsystem nur nach manueller Zuführung einer „Sprühreserve“ ordnungsgemäß befüllt gewesen wäre. Umgekehrt könnte sich Trittin aber auch von dem Argument des EnBW-Chefs Gerhard Goll beeindrucken lassen, wonach Obrigheim im Gegensatz zu anderen AKWs bereits über ein Zwischenlager verfüge und deshalb ein Fortbetrieb von Obrigheim durchaus auch Sicherheitsinteressen entspreche. Die vermeintliche Zusage von Kanzler Schröder aus dem Jahr 2000, dass ein EnBW-Antrag positiv beschieden werden solle, ist ebenfalls eher von politischem als von rechtlichem Gewicht, schließlich ist das Umweltministerium Genehmigungsbehörde und nicht das Kanzleramt. Trittin kann es Schröder ersparen, auf die regierungsinterne Richtlinienkompetenz pochen zu müssen.

Angesichts der zu erwartenden Laufzeitverlängerung von Obrigheim sehen alle Beteiligten nun mit Interesse auf die baden-württembergische Justiz. Hier ist insbesondere noch ein Verfahren beim Verwaltungsgerichtshof Mannheim anhängig, wo Anlieger die Stilllegung des Reaktors beantragt haben. Im Herbst 2000 hatte das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass eine Stilllegung zumindest möglich wäre, wenn von der Genehmigung bei „sicherheitsrelevanten Komponenten“ abgewichen wurde. CHRISTIAN RATH