„Flexibilität und Solidität“

Für den Würzburger Wirtschaftsprofessor Peter Bofinger ist der Stabilitätspakt zu starr. Deutschland müsste in schlechten Zeiten eine lockere Haushaltspolitik erlaubt sein

taz: Herr Bofinger, jahrelang sind wir gewarnt worden: Ohne Stabilitätspakt stürzt der Euro in ungekannte Tiefen. Wird das jetzt nicht passieren?

Peter Bofinger: Nein. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass der Wechselkurs des Euro losgelöst von der wirtschaftlichen Entwicklung verläuft. Deswegen sollte man die Bedeutung des Stabilitätspakts für seinen Wechselkurs zu Dollar oder Yen nicht überschätzen. Und wichtig ist ja: Für die innere Stabilität des Euro, also für die Vermeidung von Inflation, ist die Europäische Zentralbank zuständig, und die EZB hat ja gezeigt, dass sie das sehr ernst nimmt.

Wovon wird der Wechselkurs des Euro zum US-Dollar denn nun eigentlich bestimmt?

Das sind vor allem psychologische Faktoren. Am Anfang fehlte einfach das Vertrauen in die neue Währung. Deshalb sank und sank der Euro. Dieser Trend hat sich gedreht. Seit der Euro nun auch zum Anfassen da ist, steigt sein Kurs.

Brauchen wir den Stabilitätspakt überhaupt noch?

Wir brauchen einen neuen Pakt. Der muss die Aufgaben der Fiskalpolitik in einer Währungsunion klar definieren: Die nationalen Regierungen müssen über ausreichende Handlungsspielräume verfügen, damit sie Steuern und andere Abgaben nach Bedarf senken oder erhöhen können. In wirtschaftlich schlechten Zeiten wie diesen müssen die Steuern gesenkt werden, um Konsum und Investitionen anzuregen, ohne dass ein starrer Stabilitätspakt das verbietet. Das ist ganz wichtig, weil die Geldpolitik – also Zinsen rauf oder runter – nicht mehr eingesetzt werden kann. Die Zinsen macht ja die EZB für die gesamte Eurozone.

Wie könnte ein neuer Stabiliätspakt konkret aussehen?

Ich könnte mir vorstellen, dass man bei der Beurteilung der nationalen Steuerpolitik eben berücksichtigt, wie sich die gemeinsame Geldpolitik der Union auf jedes einzelne Land auswirkt und dass man dann beurteilt, ob die Fiskalpolitik des Landes angemessen ist.

Was würde das für Deutschland bedeuten?

Deutschland hat zur Zeit die höchsten Realzinsen in der EU, weil die Inflationsrate so niedrig ist. Diese Rate muss man ja immer von den offiziellen Zinsen abziehen. Das heißt, in Deutschland, das ohnehin schon Schlusslicht beim Wirtschaftswachstum in der Eurozone ist, würgen zusätzlich noch hohe Zinsen die Konjunktur ab. Deutschland müsste man also eine lockerere Haushaltspolitk erlauben.

Zum Beispiel mehr Schulden machen?

Ja. Das würde zumindest bedeuten, dass man das strukturelle Defizit konstant hält und nicht zurückfährt, wie es derzeit der Fall ist. Eigentlich könnte man sich sogar eine Erhöhung des Defizits vorstellen.

Eine Erhöhung des Defizits?

Wenn man jetzt, anstelle der ganzen Steuererhöhungen, Erleichterungen geschaffen hätte, wäre das psychologisch ein ganz anderes Signal. Es ist doch Schwachsinn, die Eigenheimzulage zu halbieren und damit die Bauwirtschaft noch zusätzlich zu schwächen – und das nur, weil man auf Teufel komm raus unter einer bestimmten Neuverschuldungsgrenze bleiben muss.

War der Stabilitätspakt denn jemals sinnvoll?

Man muss ganz klar unterscheiden zwischen heute und 1996, als der Pakt konzipiert wurde. Für die Einführungsphase des Euro war der Pakt vernünftig. Aber jetzt, wo der Euro etabliert ist, brauchen wir einen Stabilitätspakt II, der dann nicht nur, wie der alte, Handlungsspielräume einschränkt, sondern der beides verbindet: Flexiblität und Solidität.

Da gibt’s ein Problem: Stabilitätspakte sind ja schön und gut, aber keiner hält sich dran.

Das liegt daran, dass der Pakt zu starr ist. Dadurch verliert er seine Glaubwürdgkeit. Niemand würde bei der momentanen Lage wirklich meinen, dass ein niedrigeres Defizit besser wäre. Außerdem gibt es einen Konzeptionsfehler: Deutschland ist im Moment gleichzeitig Angeklagter und Richter. Denn Eichel hat ja auch seine Stimme im EU-Finanzministerrat und kann mit den anderen Defizitländern verhindern, dass Deutschland tatsächlich eine Strafe zahlen muss.

INTERVIEW: KATHARINA KOUFEN