Al-Qaida voll intakt

CIA-Chef Tenet sieht die Gefahr eines Terroranschlagsjetzt genauso groß wie vor dem 11. September 2001

WASHINGTON taz ■ George J. Tenet ist der Mann für unbequeme Wahrheiten und gewiss kein Liebling des Weißen Hauses. Hatte der CIA-Chef vor einer Woche US-Präsident George W. Bush noch mitgeteilt, dass es keineswegs eine Verbindung zwischen dem Terrornetzwerk al-Qaida und Irak gebe und Bagdad keine ernsthafte Bedrohung für die USA darstelle, zog er nun ein erstaunliches und ernüchterndes Fazit nach einem Jahr „Krieg“ gegen den Terror: Das Terrornetzwerk al-Qaida lebt. Mehr noch, seine Schlagkraft sei gefährlich wie vor einem Jahr. Al-Qaida re-organisiere sich und plane, die USA erneut anzugreifen. Tenet befürchtet vor allem Anschläge auf die wirtschaftliche Infrastruktur der USA.

Vor dem Hintergrund der jüngsten Attentate in Jemen, Kuwait, auf Bali und den Philippinen habe die Terrorbedrohung für die USA dramatisch zugenommen und ein Niveau erreicht, das mit der Zeit vor dem 11. September vergleichbar sei. „Die Bedrohung, der wir heute gegenüberstehen, ist genauso akut wie im Sommer 2001“, sagte Tenet am Donnerstag vor einem Kongressausschuss, der ein mögliches Versagen der US-Geheimdienste im Vorfeld der Angriffe auf New York und Washington untersucht.

CIA und FBI waren nach dem 11. September in die Kritik geraten, entscheidende Hinweise über geplante Attentate in den USA ignoriert zu haben. Verbesserte Kommunikation, mehr Sprachexperten und Spezialagenten vor Ort sollen zukünftig Anschläge vermeiden helfen. Al-Qaida zeigt sich davon bislang jedoch unbeeindruckt.

Im Weißen Haus und im Pentagon wächst daher die Sorge, dass die jüngste Anschlagserie die öffentliche Unterstützung für einen Krieg gegen den Irak untergraben könnte. So forderte der demokratische Senator Bob Graham aus Florida umgehend, dass sich die Bush-Regierung auf die Terrorbekämpfung konzentrieren sollte. Ein Waffengang gegen das Regime in Bagdad, dessen Verwicklung in Terroraktivitäten unbewiesen ist, lenke von dieser vordringlichen Aufgabe nur ab.

Je lauter jedoch diese Kritik vorgetragen wird, desto trotziger konstruiert die US-Regierung eine Verbindung zwischen dem Irak und dem internationalen Terrorismus. Für Bush ist beides „gleich bedeutend“. Und für den stellvertretenden Pentagonchef Paul Wolfowitz sind die Entwaffnung des Irak und der Krieg gegen den Terror nicht nur miteinander verbunden, sondern „ein und dasselbe.“ MICHAEL STRECK