Grüne zwei Köpfe kürzer

Parteitag verweigert Aufhebung der Trennung von Amt und Mandat und löst damit Führungskrise aus. Koalitionsvertrag aber abgenickt. Auch SPD-Parteitag mit 99,9 Prozent für Vereinbarung

BREMEN/BERLIN taz ■ Nach dem Debakel für die grüne Führung auf dem Parteitag am Samstag hat bei den Grünen der Streit um die Ursachen der Niederlage begonnen. Die Delegierten hatten in Bremen zwar dem Koalitionsvertrag mit überwältigender Mehrheit zugestimmt, aber eine Satzungsänderung abgelehnt, die den Parteivorsitzenden erlaubt hätte, gleichzeitig als Bundestagsabgeordnete zu arbeiten. Die Grünen-Vorsitzenden Fritz Kuhn und Claudia Roth kündigten daraufhin an, ihre Ämter auf dem nächsten Parteitag im Dezember niederzulegen, um ihre Abgeordnetenmandate behalten zu können.

Die Grünen-Politikerin Antje Vollmer sagte der taz zur Abstimmungsniederlage des grünen Spitzenteams um Joschka Fischer: „Das hat sich lange angebahnt.“ Der baden-württembergische Landesvorsitzende Andreas Braun teilte die Einschätzung, dass das Ergebnis des Parteitags zum Teil selbstverschuldet war. So sei die Kommunikation der Parteispitze im Koalitionsstreit um die Laufzeitverlängerung für das AKW Obrigheim „suboptimal“ gewesen, sagte Braun der Welt. Gegenüber der taz widersprach ein maßgeblicher Grüner: „Die Kommunikation war nicht unglücklich, sondern unzureichend. Das ist seit Jahren der am schlechtesten vorbereitete Parteitag.“

Parteichefin Claudia Roth verteidigte sich im taz-Interview gegen den Vorwurf, sie und Kuhn hätten den Delegierten persönlich ihre Forderung nach einer Satzungsänderung darlegen müssen. „Ich wollte die Auseinandersetzung nicht in einer Weise personalisieren, dass es heißt: Schaut her, jetzt macht die Claudia auch noch die persönliche Erpressungsnummer“, sagte Roth. Sie bestritt, dass die Abstimmung ein Ausdruck weit verbreiteter Unzufriedenheit der Partei mit den Vorgaben des Führungsteams war. „Es gab einen starken Wunsch gegen noch mehr Zentralismus von der Spitze“, sagt dagegen ein Bundestagsabgeordneter. „In der Fraktion geht dieses rigide Regime durch, aber in der Partei konnte das auf Dauer nicht gut gehen.“ Die Grünen-Spitze müsse sich fragen: „Wie viel Eigensinn ist erlaubt?“

Der Kompromissantrag des Bundesvorstands verfehlte die erforderliche Zweidrittelmehrheit um 20 Stimmen. Der Änderungsantrag sah vor, dass künftig zwei der sechs Mitglieder des Bundesvorstandes zugleich auch im Bundestag sitzen dürfen. Christian Ströbele, der Wortführer der Gegner einer Satzungsänderung, rechtfertigte sich in der taz: „Wie wir gesehen haben, war doch die bestehende Struktur der Grünen mit der Trennung von Amt und Mandat die Voraussetzung für den Erfolg“ bei der Bundestagswahl.

Auch die SPD stimmte gestern auf ihrem Parteitag in Berlin mit 99,9 Prozent der Delegiertenstimmen dem Koalitionsvertrag zu. Der neue SPD-Generalsekretär Olaf Scholz, der mit rund 91 Prozent ins Amt gewählt wurde, befürchtet keine Probleme für Rot-Grün: „Nur weil eine Satzungsänderung an 20 Stimmen gescheitert ist, muss man sich nicht in die Hosen machen.“

PATRIK SCHWARZ, JENS KÖNIG

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