Nichts als Gegend

Zwischenräume und der „wohltemperierte Schock zum Schönen“: Über die Poetik von (Stadt)Landschaften

Brachial hineinbetoniert in das feinnervige Geflecht eines Flusses

Das Dia zeigt eine typisch norddeutsche Landschaft. Der Blick gleitet über einen Strom – es könnte die Elbe oder die Weser sein. Zeichen industrieller Nutzung werden im Hintergrund sichtbar. Über dem weiten Horizont ein gescheckter Himmel: Dunkle Wolken ballen sich, aber auch die Abendsonne kann sich noch behaupten, sucht sich Lücken im Gewölk. Ist es Frühling, Herbst oder einer der herben norddeutschen Sommerabende? Für Christiane Sörensen zeigt das Bild einen ganz charakteristischen Landschaftsraum von heute, den sie mit „Zwischenraum“ umschreibt.

Die Hamburger Professorin für Garten- und Landschaftsplanung sprach im Rahmen der Reihe „Denkanstöße“, die der Bund Deutscher Baumeister veranstaltet, über „Positionen zwischen Architektur und Landschaft“. Sörensen: „Solche Zwischenräume lassen Momente von Erhabenheit entstehen.“ Sie setzt den Begriff des Erhabenen aber in eine postmoderne Lesart um: als „Suche nach dem wohltemperierten Schock zum Schönen hin“.

Zwischenräume sind bedeutsam, weil sie eine regionale Identität besitzen. Dadurch sind sie für die Landschaftsplanerin „Gegenthesen“, Hoffnungsträger gar, zur Haupttendenz der gegenwärtigen Landschaftsentwicklung: dem gesichts- und zusammenhanglosen Einerlei aus Trassen, Siedlungen, Feldern und Gewerbesteppen. „Gegenden“, umschreibt sie den Wandel, „überall Gegenden, nichts als Gegenden.“

Die Projekte der Professorin setzen Akzente gegen die gedankenlosen oder einseitig ökonomisch fundierten Eingriffe: In Potsdam soll eine Plattensiedlung, die brachial in das feinnervige Geflecht eines Flusszulaufs hineinbetoniert wurde, wieder ein Stück weit den ursprünglichen landschaftlichen Charakter zurückerhalten. In Brasilien kämpft Sörensen für den Erhalt einer Kulturlandschaft, die durch Mineralbäder geprägt wurde und deren Ressourcen zurzeit von Großkonzernen wie Nestlé zur Produktion von Tafelwassers irreversibel ausgebeutet werden.

Auch die Hamburger Stadtlandschaft ist ein bevorzugtes Untersuchungsfeld Sörensens. Wie Bremen zeichne sich auch Hamburg dadurch aus, dass die Landschaft weit in die Stadt hineinfließe. Das mache die Poetik dieser Stadtlandschaften aus. Durch die zurzeit vollzogene Umstrukturierung der Hafenareale lässt sich dieser Charakter noch stärker verdeutlichen. Mit der Hamburger HafenCity neben der Speicherstadt eröffnet sich sogar die Möglichkeit, eine völlig neue Stadtlandschaft zu kreieren.

Da mussten die Bremer ZuhörerInnen neidvoll den Vorsprung Hamburgs akzeptieren. Aber immerhin hat ja der neue Senatsbaudirektor Uwe Bodemann in Hamburg wertvolle Erfahrungen gesammelt, die er auch hier umsetzen könnte. Als ersten Schritt dazu mag man die kleine Ausstellung „Bremen. Die Stadt am Fluss“ im StadtPlanungsCenter (dem ehemaligen Siemenshochhaus) betrachten. Allerdings ist hinter der Ansammlung von flussnahen Vorzeigeprojekten vom Rönnebecker Hafen im Norden bis zum Gewerbepark Hansalinie im Süden noch kein zwingendes Konzept zu erkennen. Eberhard Syring