Der Richter und sein Messer

Im Geschwornenweg-Prozess betätigt sich das Gericht als Materialüberprüfer von Gasrohren. Baggerführer B. bekommt von seinem Chef ein einwandfreies Arbeitszeugnis ausgestellt.

„Der B. war immer ordentlich, pünktlich – ich kann nichts Negatives sagen“

Klaus-Heinrich B. ist angeklagt, durch fährlässiges Handeln im Herbst 2000 die Explosion eines Seniorenhauses im Geschwornenweg und so den Tod von zwölf Menschen verursacht zu haben. Dieser Verdacht lastet schwer auf dem Maschinisten. Fünf Verhandlungstage schon sitzt er niedergeschlagen neben seinem Verteidiger, der in geschliffener Diktion für den Mandanten spricht. B. selbst schweigt, manchmal weint er.

Seit 1969 ist B. bei dem Bremer Tiefbauunternehmen Herdejürgen angestellt. Von Anfang an sei er auch als Baggerführer eingesetzt worden, sagte Geschäftsführer Hartmut Herdejürgen gestern vor der Schwurkammer des Bremer Landgerichts. „Der B. hat nie eine Abmahnung bekommen, war immer ordentlich und pünktlich, kein Alkohol – ich kann nichts Negatives über ihn sagen.“ Was die finanziellen Folgen des Unglücks für seine Firma betrifft, hielt sich Herdejürgen mit Aussagen zurück. Beim Unternehmen selbst seien 34 Regressansprüche in Höhe von 2,4 Millionen Mark eingegangen. Der Energieversorger swb Norvia – dessen Abgesandte den Prozess mit Argusaugen verfolgen – sei mit Forderungen in Höhe von 6,7 Millionen Mark konfrontiert worden. Nun versuche die swb, einen ersten Abschlag dieser Summe, 4,5 Millionen Mark, bei Herdejürgens Versicherung AXA einzutreiben. Ob diese die Summe schon bezahlt habe, könne er nicht sagen, so Herdejürgen: „Die beiden Versicherungen kommunizieren untereinander.“

Das Tiefbauunternehmen sei ihm bislang „nicht besonders negativ aufgefallen“, sagte Nils Rehbach vom Gewerbeaufsichtsamt. Ein Unternehmer delegiere seine Verantwortung für die Erkundung von Gasleitungen auf einer Baustelle an den Bauleiter und der wiederum an den Polier – hier ende die „Pflichtenkette“. „Die Erkundungspflicht obliegt mit Sicherheit nicht dem Gerätefahrer“, sagte auch Frank Werner von der zuständigen Berufsgenossenschaft. Aus der Anweisung des Poliers, den Straßenbelag aufzunehmen, habe der Baggerfahrer folgern müssen, dass er diese Arbeit auch durchführen dürfe. „Er konnte darauf vertrauen, dass der Vorgesetzte seiner Pflicht nachgekommen war.“

Die Frage, wie tief B. denn nun wirklich gebaggert hat, blieb auch gestern offen. Es hat mittlerweile schon etwas Rituelles, wenn der Vorsitzende Richter Heinrich Wacker sich die Arbeitshandschuhe überstreift und schwere Rohrstücke durch den Saal wuchtet. Gestern zog Wacker sogar unvermittelt ein Taschenmesser aus seiner Hosentasche, um ein – um eine Schweißnaht gewickeltes – Isolierband aufzuschneiden. Ob das fragliche Rohr jedoch bereits gebogen unter der Straßendecke gelegen hat, konnte das Gericht wieder nicht restlos klären. Die für heute angesetzten Plädoyers wurden erst einmal verschoben. Markus Jox

Der Prozess geht am 28.10. weiter