normalzeit
: HELMUT HÖGE über den Zwischenhandel

Die neuen Start-ups

Bereits in den frühen Achtzigerjahren interviewte die taz einen neuen, viel versprechenden Dienstleister. Die Firma nannte sich „Hydra“ und half gegen Bezahlung bei Ämterproblemen und Schwächen im Formularausfüllen – bis dahin, dass man den Kunden bei Terminengpässen mit professionellen Warteschlangenstehern aushalf („Warts-up“). Das war damals aber eine Schnapsidee, denn so gut wie niemand nahm den Service in Anspruch. Der Name Hydra ging in das Logo einer Prostituiertenorganisation über und die Mitarbeiter, arbeitslose Westberliner Akademiker aus Wien allesamt, verlegten sich auf das Abfassen von Diplom- und Doktorarbeiten.

Damit kamen sie besser über die Runden, da immer mehr Beamte ihren Karrierestau mittels akademischer Titel überwinden wollten, jedoch zu wenig Zeit zum Lesen und Schreiben hatten, dafür jedoch viel Geld. Die Warteschlangensteheridee haben jetzt einige arme Nichtmusiker aufgegriffen, indem sie sich bei der BVG-Spielplatzvergabe morgens in die Schlange der U-Bahn-Musiker einreihen, und dann einen Platz zu ergattern, den sie mit Gewinn sogleich weiterverkaufen – an die wirklichen Musiker.

Ähnlich ist es bei den Scheibenwischerkids. Viele stehen unter Kontrolle von Jungbossen, die selbst keine Autos (mehr) bedienen, aber die desorientierten Kids gerne – gegen eine Umsatzbeteiligung – mit Wischer, Eimer und Spülmittel versorgen. Von einigen Punks, die vor den Supermärkten betteln, sagt man, sie ließen sich inzwischen schon mit einem Rolls-Royce zu ihren Sitzplätzen chauffieren – so reich sind sie geworden. Dasselbe behaupten aber die wirklich Reichen in allen Städten der Welt von „ihren“ Bettlern: als Urban Tale, um „ihr“ Gewissen zu beruhigen. „Wir habet nich vom Ausjebe, wir habet vom Behalte“, so sagte es einmal die Witwe Schickedanz.

In Berlin kommen dazu noch weitere Hürden: So wollte Kaethe B. einmal mit einem Rolls-Royce beim Fischbüro vorfahren, aber alle Nobelkarossenverleiher winkten ab, als sie hörten, dass die Fahrt nach Kreuzberg gehen sollte. Zurück zum Geldverdienen: Dafür gibt es in Berlin inzwischen eine ganze Schlepperbranche, die von West nach Ost arbeitet – und zwar mit Osteuropäern, die ihr Touristenvisum überzogen haben und kein Wiedereinreiseverbot verpasst bekommen wollen. Eine altehrwürdige slowakische Schlepperbande, die umgekehrt von Ost nach West tätig war, wurde dagegen gerade von den Soko-vereinigten Kräften aus BKA, GS, Zoll, Interpol etc. hochgenommen. Ebenso eine blutjunge Computer-Gang in Hohenschönhausen, die gegen Bezahlung Unfall-Reparaturrechnungen ausstellte sowie als gestohlen gemeldete Autos nach Polen überstellte.

Überhaupt setzt sich langsam auch hier die Milizerkenntnis durch, dass alle polnischen Autodiebstähle in Wahrheit rein deutsche Versicherungsbetrügereien sind. Aber ob so oder so, die illegalen Start-ups oder in Grauzonen operierenden Zwischenhändler haben den weißen Geschäften dies voraus: „Die Scham weicht der Kameradschaft; die einzige Ware, die sich noch auf dem Schwarzen Markt befindet, ist das Wohlwollen der Leidensgenossen, das man nicht kaufen kann, das man sich ehrlich verdienen muss“, wie der polnische Essayist Jerzy Stempowski in seiner „Bibliothek der Schmuggler“ schreibt. Soll heißen: Nur in der illegalen Dienstleistung stellt sich Gesellschaft her, während die völlig legalen Geschäftsbeziehungen sie zerstören. Weil Erstere dies nach außen hin aber auch bewirkt, deswegen braucht die schwarze wie die weiße Ware eine Zone der Vermischung, wo eins ins andere übergeht – und sich so quasi neutralisiert.