Zurück aus den Wolken

Gespräch mit dem niederländischen Trainer Guus Hiddink, der Südkorea ins WM-Halbfinale führte und heute mit seinem PSV Eindhoven in der Champions League bei Borussia Dortmund antritt

Interview MARTIN HÄGELE

taz: In sechs Versuchen hat es der PSV Eindhoven bislang nicht in die zweite Gruppenphase der Champions League geschafft – auch beim siebten Mal sieht es so aus, als wäre diese Hürde zu hoch?

Guus Hiddink: Der PSV besitzt heute noch nicht die Qualitäten, dass man sagen kann: wir qualifizieren uns für die zweite Runde. Wir brauchen doch nur den Kader und den Haushalt von Arsenal London, Borussia Dortmund und uns zu vergleichen. Gegen solche Teams haben wir nur eine Chance, wenn die einen schlechten und wir einen guten Tag erwischen. Momentan haben wir einen Stillstand in unserem Reifeprozess, weil die Mischung noch nicht stimmt und wir zu viele junge Leute haben, die jetzt schon die Mannschaft mittragen müssen. Deshalb stehen wir jetzt vor der Frage: Müssen wir noch einmal investieren? Kann der PSV investieren?

Trotz der 1:3-Heimniederlage gegen Dortmund ist Ihre Mannschaft gelobt worden. Auch nach dem 0:4 gegen Arsenal gab es Komplimente. Es sind zwar klare Resultate – aber es wurde zweimal äußerst unglücklich verloren.

Halt. Man kann nur einmal unglücklich verlieren. Nicht mehrmals. Unserem Team fehlt die mentale Qualität. Wir haben in diesen Spielen taktische und persönliche Fehler gemacht, wie sie auf europäischem Niveau sofort bestraft werden. In solchen Spielen darf man sich keine Blackouts erlauben und man muss seine Torchancen nutzen.

Sie könnten ein Leben führen, in dem Ihnen jeder Wunsch von den Augen abgelesen wird. In Südkorea wurden Sie wie ein Nationalheld verehrt, man baut Ihnen Denkmäler und benennt Straßen nach Ihnen.

Ich mag den Alltag in Holland. Ich wollte mich in Korea nicht auf eine Wolke setzen, ich möchte lieber in der Realität leben.

Und trotzdem im Paradies: Sie waren in diesem Jahr der bestbezahlte Fußballtrainer der Welt – allein für das Erreichen des WM-Halbfinales sollen Sie vier Millionen Dollar erhalten haben …

… alles zusammen ja, aber mit Gehalt, Bonus und Werbeverträgen. Ich sagte damals, lass uns alles reinschreiben in den Vertrag, so und so viel für das Überstehen der Gruppe, dann eine Extra-Prämie fürs Achtelfinale, Viertelfinale, Halbfinale. Alles kein Problem, meinten die Koreaner. Sie hätten nie und nimmer gedacht, dass sie diese Summen einmal ausbezahlen müssten. Aber, ehrlich gesagt, ich auch nicht.

Sind Sie vor dieser göttergleichen Verehrung in Südkorea auch geflohen, nachdem Ihnen bewusst war, Sie könnten dort nur noch verlieren – weil sich das Fußball-Wunder mit den „roten Teufeln“ ja kaum fortschreiben lässt?

Ganz so schlimm war dieser Status dann doch nicht, und es betraf nur die letzten Wochen. Da konnte ich allerdings nicht mehr auf die Straße gehen. Ich bewegte mich nur noch zwischen Hotelzimmer und Auto, sonst hätte mich diese Begeisterung erstickt. Doch diese Begeisterung war friedlich, nie aggressiv, es handelte sich um das schönste Kapitel der asiatischen Fußballgeschichte. Nun ist die Mannschaft im Umbruch, es gibt eine schwierige Phase, weil vor dem Beginn der nächsten WM-Qualifikation ein paar routinierte Spieler ersetzt werden müssen. Und man muss sich nach dem sensationellen Erfolg neu einschätzen. Wenn Südkorea 2006 in Deutschland in die zweite Runde kommt, ist der Trainer wieder der König. Zu meiner Person: Ich habe in meiner Karriere auch gelernt, zum richtigen Zeitpunkt aufzuhören.

Das mag stimmen, andererseits haben Sie nie einen Hehl daraus gemacht, dass für Sie eine WM eine ganz besondere Bedeutung darstellt. Haben Sie bereits Angebote für das nächste Turnier?

Schon, aber noch nicht so konkrete, dass jetzt gleich ein Vertrag unterzeichnet wird.

Mit fast 56 Jahren beginnt man in diesem Job ja auch zu planen: Was fehlt mir noch, was will ich noch erreichen?

Ich denke noch nicht an meine Rente oder an die schönen Golfplätze von Marbella. Ich habe sehr viel Freude daran, mit jungen Leuten zusammenzuarbeiten. Auch zu Zeiten, in denen die Welt ein bisschen durchgeknallt ist. Mein Motto ist: Lass uns normal, sauber und seriös arbeiten. Und möglichst so, dass auch Spaß und Leidenschaft damit verbunden sind. Und es gibt schon noch Dinge, die ich als Herausforderung sehe: ein seriöser Klub in der Bundesliga etwa oder in England. Aber momentan bin ich wirklich sehr scharf auf meinen Job in Eindhoven.

Manchmal ist Fußball mehr als nur Sport. Sie gehören zu den Paten des Freundschaftsvertrags zwischen dem holländischen und deutschen Fußballverband, der für ein besseres Verständnis unter Nachbarn steht. Könnte ein ähnlicher Kontrakt auch zwischen den alten Kriegsgegnern Südkorea und Japan vermitteln?

Es ist schön, dass der Fußball heutzutage gesellschaftliche und nationale Brücken schlagen kann. Erst neulich war ich zum Spiel Südkorea gegen Nordkorea in Seoul eingeladen. Dass Süden und Norden wieder miteinander Fußball spielen, ist doch für die ganze Welt ein gutes Zeichen.

Am 20. November treffen die Vizeweltmeister in der ArenaAufSchalke auf eine Oranje-Auswahl, die lange unter dem Spott und Frust leiden musste, sich nicht für das Turnier in Asien qualifiziert zu haben.

Ich erwarte da eine sehr gute Atmosphäre und eine besondere Rivalität. Deshalb ist das auch ein bisschen mehr als nur ein Freundschaftsspiel. Das wird eine sehr inspirierte holländische Mannschaft. Sie wissen, dass sie in der Qualifikation Fehler gemacht haben, auch aus Arroganz. Und in Gelsenkirchen werden sie sich international zurückmelden.