bernhard pötter über Kinder
: Wir sind auch nur Wirbeltiere

Man nehme: eine halbe Tonne täglich. So viel kostet es, unsere Kinder auf den Arm zu nehmen

Jerry Cotton hätte es so beschrieben: „Es war ein Gefühl, als ob mir jemand ein glühendes Messer zwischen der fünften und sechsten Rippe in den Rücken gestoßen hätte.“ Natürlich habe ich keine Ahnung, wie sich ein Messer im Rücken anfühlt. Und ich werde diese Erfahrung nicht morgens um 8.27 Uhr vor dem Kindergarten machen. Aber genauso stelle ich es mir vor. Ein fieser stechender Schmerz. Atemnot. Ein verdrehter Oberkörper. Schweiß auf der Stirn.

Jonas rannte mit voller Geschwindigkeit die Treppen zum Eingang hoch. „Nie wieder werde ich mich so schnell bewegen“, dachte ich und sah ihm sehnsüchtig nach. Vorsichtig sog ich die Atemluft ein und schlurfte die Treppen hoch wie ein Invalide. „Hey, bist du lahm oder was?“ rief Jonas mir vom Eingang entgegen.

Na warte, Kerl, murmelte ich. Nur deinetwegen laufe ich hier so windschief durch die Gegend. Schließlich hatte ich Jonas vom Fahrradsitz gehoben und den Rücken beim Drehen gestreckt oder beim Strecken gedreht und mir dabei den Rücken verrenkt. Fünf Tage lang konnte ich weder stehen noch sitzen. Ich ging wie auf rohen Eiern. Das Hinsetzen war eine Qual. Das Aufstehen nur mit Hilfe meiner Ehefrau möglich. Morgens wälzte ich mich aus dem Bett, ließ mich vom Rand fallen und krabbelte auf allen Vieren ins Büro. Bis ich nach fünf Tagen mit meinem Kreuz zu Doktor Brönningsen kroch. Der packte mein Rückgrat mit seinen Medizinerpranken und ließ es zweimal krachen. Und siehe: Ich war danach nicht gelähmt, sondern geheilt.

Was mir bis dahin entgangen war: Rückenschmerzen gehören zur Aufzucht eines Kindes wie das Ping zum Pong. Schwangeren Frauen zieht es im Rücken; Eltern holen sich einen Buckel, wenn das Tragetuch falsch eingefädelt ist; Mütter liegen nächtelang zusammengekrümmt im Bett, um sich als Nuckel missbrauchen zu lassen; Kinder klagen über chronische Rückenleiden, wenn die Schulranzen zu schwer sind; Väter verrenken sich ihre Rückseite beim Aufbau des Hochbetts.

Aber die finale Attacke auf die Wirbelsäule ist die elterliche Kranfunktion. Jonas wiegt 17 Kilogramm. Wir heben ihn: aufs Fahrrad; auf die Schultern („meine Beine tun weh“); auf Klettergerüste; von Klettergerüsten runter; in die Wanne, aus der Wanne; in das Auto, aus dem Auto; an Zugfenster, auf Zoogeländer, auf Zirkusstühle, über elektrische Kuhzäune, in tiefe Gruben, auf Kletterfelsen. Tina wiegt nur neun Kilo. Aber sie macht alle diese Hubarbeiten mit und sitzt dabei fröhlich grinsend in einem Kinderwagen, der in Gewicht und Sperrigkeit dem „Marder“-Panzer der Bundeswehr gleichkommt. Außerdem legt sie alle Wege außerhalb ihres Panzers an uns geklammert zurück.

Grob berechnet, stemmen Anna und ich täglich so viel wie ein Gewichtheber in der Regionalliga. Bei Jonas sind es knapp 200 Kilo, bei Tina mindestens genauso viel. Dazu die Kinderwagen, Wasserkästen, Einkaufstüten, Windeleimer, Fahrräder mit Kindersitzen und allgemeine Zukunftssorgen, die wir für unseren Nachwuchs herumschleppen. Ich wusste, dass Kinder zu haben schwer sein würde. Ich wusste nicht, dass das jeden Tag eine halbe Tonne bedeuten würde. Bei 180 Tonnen im Jahr und einer Hebelast von 1.260 Tonnen bis zur Einschulung bleiben Schäden nicht aus. Nicht eingerechnet sind natürlich die Angriffe auf meine Knochen, wenn Jonas mir mit Anlauf und Genuss in die Lendenwirbel kracht wie ein Linebacker beim Tackling im American Football. „Über den Daumen kann man sagen: pro Kind ein Bandscheibenvorfall“, erinnert sich meine Mutter. Aber wie sollen meine Kinder von einem Vater ohne Rückgrat den aufrechten Gang lernen?

„Man kann doch so viel gegen Rückenleiden tun“, sagt unsere kinderlose Freundin Margitta. „Ich achte zum Beispiel immer darauf, mit geradem Rücken zu heben und dabei in die Knie zu gehen.“

Wie gesagt, Margitta hat keine Kinder. Sonst wüsste sie, dass Gitterbetten immer genau die maximale Tiefe haben, um morgens um halb vier die Rückenwirbel zum Ächzen zu bringen. Und sie wüsste, dass eine Kiste Mineralwasser zwar theoretisch auch nicht schwerer ist als Jonas. Aber sehr selten sieht man Wasserkisten, die sich unter dem Bett verkriechen und beim Anheben kratzen, schreien und strampeln. „Kauft euch doch einen dieser tollen Gymnastikbälle, die sind gut für den Rücken“, rät Margitta. Na ja. Wir haben so einen, um die Kinder einzuschläfern. Und nach einer Stunde nächtlichen Gehopses mit der kreischenden Tina auf dem Arm fühle ich mich wie beim „Erlkönig“: „Der Vater erreicht den Hof mit Ach und Krach / in seinen Armen das Kind ist verdammt noch mal immer noch hellwach.“ Und mir hat der nächtliche Ritt auf der Gummikugel ein schiefes Kreuz eingebracht. Doktor Brönningsen wartet schon.

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