Liebesbeweise für Roth und Kuhn

Die grünen Spitzengremien tagten, aber ohne Ergebnis: Die Führung will der Basis keine Vorschläge machen, wie sich die Krise bewältigen lässt. Stattdessen hofft man auf eine Flut von E-Mails, die Claudia Roth und Fritz Kuhn auffordern zu bleiben

„Wenn die jetzt nicht spüren, dass die Partei sie weiter will, dann war’s das.“

aus Berlin PATRIK SCHWARZ

Gestern trafen sich die Gremien der grünen Partei. Es war das erste Treffen nach dem Abstimmungsdebakel der grünen Spitze auf dem Parteitag am Wochenende. Bundesvorstand und Parteirat hatten eine einfache Entscheidungen zu treffen: Soll die Partei sich auf die Suche nach einer neuen Führung machen – oder will die bisherige Führung um die Vorsitzenden Claudia Roth und Fritz Kuhn einen neuen Anlauf unternehmen, die Trennung von Amt und Mandat aufzuheben? Am Ende ihrer rund dreistündigen Beratung entschieden die Gremien, nichts zu entscheiden. Damit gibt, überraschend genug, das machtbewussteste wie erfolgreichste grüne Spitzenteam der letzten Jahre die Macht zurück an die Basis.

Roth und Kuhn erklärten zwar, bis zum regulären nächsten Parteitag im Dezember ihre Ämter beibehalten zu wollen. Weder die beiden Vorsitzenden noch die übrige versammelte Führungsriege gaben jedoch eine Empfehlung für einen Ausweg aus der Krise ab. Im Parteirat sitzen neben den Bundesvorstandsmitgliedern auch Vize-Kanzler Joschka Fischer (gestern mit grüner Krawatte), die Minister Jürgen Trittin und Renate Künast, die bisherigen wie neu gewählten Fraktionsvorsitzenden sowie eine Reihe von Ländervertretern. Die Verabredung zum Stillschweigen soll offenbar die Partei ermuntern, sich nun umso lautstärker vernehmen zu lassen. Roth und Kuhn, so ließen ihre Vertrauten gestern bereitwillig wissen, warteten wohl auf ein Signal: „Wenn die jetzt nicht spüren – und zwar von unten, nicht von oben –, dass die Partei sie weiter will, dann war’s das.“

Indem die Vorsitzenden zunächst einen Liebesbeweis der Basis abwarten, geben sie freilich die Kontrolle über die Entwicklung der grünen Führungskrise weitgehend aus der Hand. Gleichzeitig fehlte es gestern nicht an dezenten Hinweisen an die eigene Mitgliedschaft, wie derartige Liebesbeweise ausfallen könnten. „Du kriegst Post, du kriegst E-Mails, es gibt Vorstandsbeschlüsse“ auf der Ebene von Kreisverbänden, beschreibt ein Nahesteher die stille Hoffnung. Einen objektiven Gradmesser für das erforderliche Maß an Herzenswärme gibt es freilich nicht, räumen die Vertrauten ein. „Das ist eine Frage des Feelings.“

Damit ist das Thema der Trennung von Amt und Mandat endgültig zur Vertrauensabstimmung über die beiden amtierenden Vorsitzenden geworden. Auf dem Parteitag hatte die Führung diesen Anschein noch vermeiden wollen, indem Kuhn und Roth darauf verzichteten, den entsprechenden Antrag durch eigene Redebeiträge zu stützen. Am Ende fehlten für die Satzungsänderung 20 Stimmen zur erforderlichen Zweidrittelmehrheit der 700 Delegierten.

„Zwei Drittel minus zwanzig“ ist seit Bremen zur Konstante grüner Machtarithmetik geworden. Die Unbekannte ist, wie viele der Neinsager sich umstimmen lassen würden. „Der Betonblock macht vielleicht 25 Prozent aus, aber nicht 33“, rechnet ein Helferlein im Parteiapparat, die übrigen sieben bis zehn Prozent würden aus einem Mix an Motiven gegen die Satzungsänderung stimmen. „Es hat im Vorfeld von Bremen ein objektives Kommunikationsdefizit gegeben, das ist unbestritten“, heißt es. Der Unterstützerkreis der alten Spitze hofft darum auf innere Einkehr an der Basis – und zählt nicht zuletzt auf die Schockwirkung, welche die Schlagzeilen in der Partei entfaltet haben.

Quer durch alle Lager herrscht Einigkeit, dass die Grünen in der Auseinandersetzung mit der SPD nur profitieren könnten, falls Roth und Kuhn Parteichefs blieben. Doch selbst falls das Maß an innerparteilichen Sympathiebekundungen die Vorsitzenden zu einem neuen Anlauf bewegen würde, fehlt es in der Führung an einem Plan, wie dieser Anlauf aussehen könnte. Nachdem Roth und Kuhn eine Aufgabe ihrer Abgeordnetenmandate im Bundestag gestern erneut ausschlossen, müsste die Satzung doch noch geändert werden – ohne gleichzeitig den Vorwurf der Trickserei heraufzubeschwören. Der grüne Umweltminister in NRW, Michael Vesper, hat dazu eine Urabstimmung aller Parteimitglieder vorgeschlagen. Laut Satzung ist sie möglich, doch mit so vielen Hürden verbunden, dass ein Ergebnis nach Parteischätzungen erst im März 2003 vorläge, weit nach der Wahl einer neuen Führung im Dezember also. Vielleicht findet sich in den erwarteten E-Mails noch der eine oder andere Vorschlag.