„Souverän und europäisch“

Der montenegrinische Schriftsteller Jevrem Brković über die Wahlen, das Verhältnis zu Serbien und zu Europa

taz: Montenegro hat gewählt, freut Sie das Ergebnis?

Jevrem Brković: Ja, natürlich. Der Wahlabend war sogar einer meiner glücklichsten Momente. Die Zeit der Fremdbestimmung neigt sich dem Ende zu. Wir haben hier in Montenegro die richtige Orientierung gefunden, wir wollen ein europäisches Montenegro, das souverän und anerkannt ist. Wir brauchen uns nicht zu verstecken, denn hier in Montenegro haben niemals ethnische Säuberungen stattgefunden. Wir werden auch in Zukunft mit allen unseren Nachbarn freundschaftliche Beziehungen unterhalten, mit Kroatien, Bosnien, den Albanern und mit Serbien. Alle Besucher sind herzlich willkommen.

Sie sind also auch gegen den von EU-Außenminister Javier Solana vorgeschlagenen losen Staatenbund mit Serbien?

Der Vorschlag Solanas schiebt nur die notwendigen Lösungen auf, ändert aber nichts am Gang der geschichtlichen Ereignisse. Präsident Djukanović hat das Referendum über die Unabhängigkeit verschoben und hat in Belgrad verhandelt. Ich verstehe, dass wir uns nicht außerhalb des Kontextes der europäischen Politik stellen konnten. Wir lehnen es aber strikt ab, eine Dependance Belgrads zu sein.

Wie beurteilen Sie dann die Arbeit von Herrn Solana, wenn Sie den Vorschlag ablehnen?

Ich betrachte den EU-Außenminister als Beamten der europäischen Bürokratie. Er ist Physiker von Beruf und versteht meiner Ansicht die historischen, politischen und gesellschaftlichen Bedingungen in unserer Region nicht. Er geht nach einem starren Schema für die Lösung der Probleme vor, das für die hiesige Situation unangemessen ist. Wir brauchen übrigens nicht seinen Passierschein für Europa, sind seit Jahrhunderten Teil Europas und haben Europa in unserer Geschichte immer wieder verteidigt. Wir brauchen also keine Belehrungen von oben herab.

Ist das auch die Meinung Ihres Präsidenten?

Als ein Schriftsteller, dessen Werke auch im Ausland veröffentlicht sind, der 1991 vor Milošević fliehen musste und für ein freies Montenegro gekämpft hat, bin ich keinen politischen Zwängen ausgesetzt. Ich wurde von Milošević verfolgt, weil ich den Krieg in Kroatien, den Angriff auf Dubrovnik und Vukovar verurteilte. In einem Gedicht habe ich unsere Gesellschaft bei der Bevölkerung von Dubrovnik entschuldigt. Auch Montenegriner waren an dem Angriff auf die Stadt beteiligt, ja, es gab sie, die Montenegriner, die anfänglich auf Seiten Milošević’ gekämpft haben, während andere gegen das Regime Stellung bezogen. Ich versuche in unserem Land immer wieder, diese Frage öffentlich zu diskutieren. Denn man kann nicht nur mit den Fingern auf andere zeigen. Indem Montenegro von Serbien okkupiert war, konnten wir damals allerdings nicht frei entscheiden. Wir hoffen, dass das alles jetzt Vergangenheit ist, wollen hier unsere multinationale Gesellschaft weiterentwickeln und einen gemeinsamen Weg mit den anderen europäischen Nationen finden.

INTERVIEW: ERICH RATHFELDER