„Da hilft nur die Nettoneuverschuldung“

Trotz schwächeren Wachstums war die Planung der rot-grünen Bundesregierung solide, beharrt die grüne Finanzexpertin Christine Scheel

taz: Die Wirtschaftsforscher haben gestern erläutert, dass die Bundesregierung wieder einmal zu optimistisch ist. Im kommenden Jahr wird das Wachstum wohl geringer ausfallen. Ist Ihr Koalitionsvertrag schon nach einer Woche Altpapier?

Christine Scheel: Ach was, wir schätzen das Wachstum auf 1,5 Prozent jährlich, die Institute liegen in ihrer Mehrheit bei 1,4 Prozent für 2003 – kein großer Unterschied. Unsere Planung für den Bundeshaushalt ist nicht Makulatur.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung prognostiziert, dass die deutsche Wirtschaft nur um 0,9 Prozent zulegt. Da können Sie Ihre Finanzplanung gleich neu schreiben, weil Ihnen jede Menge Steuereinnahmen fehlen.

Warten wir mal ab. Oft genug haben die Wirtschaftsforscher ihre Prognosen revidieren müssen.

Meistens weiter nach unten.

Im November kommt die neue Steuerschätzung. Dann haben wir solidere Daten. Bisher scheint sich nur abzuzeichnen, dass der Finanzminister für dieses Jahr Steuerausfälle zu verkraften hat: unter zehn Milliarden Euro im Bundeshaushalt. Wir werden also einen Nachtragshaushalt in den Bundestag einbringen.

Wie wollen Sie das zusätzliche Loch von zehn Milliarden Euro für 2002 denn schließen?

Indem der Bundesfinanzminister Kredite aufnimmt. Sie können ja Ende des Jahres mit Einsparmaßnahmen nichts mehr erreichen – das Geld wurde bereits ausgegeben. Da bleibt nur die Erhöhung der Nettoneuverschuldung.

Mehr Schulden in 2002, niedrigeres Wachstum in 2003 – woher nehmen Sie die Hoffnung, bis 2006 den Vertrag von Maastricht einhalten und die Neuverschuldung auf null reduzieren zu können?

Wir haben eine solide Finanzplanung bis 2006 gemacht. Danach ist dieses Ziel erreichbar. Natürlich wissen wir nicht, wie sich die Dinge weiterentwickeln, deshalb wird ja auch die Planung jedes Jahr aktualisiert.

Wäre es nicht an der Zeit, ein Worst-Case-Szenario zu schreiben, das von wirtschaftlicher Stagnation ausgeht? Dann würden Sie nicht ständig negativ überrascht.

Die 1,5 Prozent Wachstum, die wir unserer Prognose zugrunde gelegt haben, wurden von der Wirtschaftswissenschaft getragen. Die haben wir nicht aus der Luft gegriffen. Warum soll die Bundesregierung pessimistischere Annahmen treffen als die Ökonomen?

Selbst der Präsident der EU-Kommission, Romano Prodi, hat den Stabilitätspakt von Maastricht inzwischen als „dumm“ bezeichnet, weil er zu unflexibel sei. Halten Sie noch an Maastricht fest?

Ich finde Prodis Äußerung unangemessen. Der grundsätzliche Kurs, höchstens drei Prozent Haushaltsdefizit im Verhältnis zum Bruttoinlandsdukt zuzulassen, ist richtig. Es kann auf Dauer nicht funktionieren, dass man mehr ausgibt, als man einnimmt. Es muss uns aber klar sein, dass wir nicht gerade einfachen Zeiten entgegengehen.

INTERVIEW: HANNES KOCH