Ein Prozent sind ...

... 20 Milliarden Euro. Und die fehlen bei sinkendem Wachstum. Das wirkt sich auf alle Lebensbereiche aus

BERLIN taz ■ Das große Schachern um Prozentpunkte läuft. Die Wirtschaft werde im nächsten Jahr um gut einen Prozentpunkt weniger wachsen, als die Konjunkturforscher und auch Finanzminister Eichel bis vor der Wahl geglaubt (oder wohl eher gehofft) hatten, prognostizieren die Wirtschaftsforscher. Doch was heißt das tatsächlich für den Staatshaushalt? Was heißt das für die Arbeitslosenrate? Was heißt das für das Zinsniveau?

Das deutsche Bruttoinlandsprodukt beträgt rund zwei Billionen Euro. Ein Prozent davon sind 20 Milliarden Euro. Um diesen Betrag weniger werden Güter produziert und Dienstleistungen verrichtet, wenn das Wachstum ein Prozent geringer ausfällt. Von allen Ausgaben und Einnahmen in Deutschland tätigt der Staat etwa die Hälfte: Die „Staatsquote“ liegt in Deutschland bei etwa 50 Prozent, was im internationalen Vergleich relativ hoch ist. Ein Prozent weniger Wachstum bedeutet also, dass der Staat – inklusive Sozialversicherungssysteme – zehn Milliarden Euro weniger zur Verfügung hat.

Ein Prozent weniger Wirtschaftswachstum heißt auch, dass die Arbeitslosigkeit steigt. Wie sehr, ist schwer zu sagen, weil der Produktionsrückgang nicht sofort zu Entlassungen führt, sondern zunächst nur zu einer Unterauslastung der Kapazitäten. Darüber hinaus spielt bei der Prognose der Arbeitslosigkeit auch die Produktivität eine Rolle. Bei gleich bleibendem Wachstum verringert sich die Zahl der Arbeitsplätze, weil die Produktivität der Arbeit insgesamt stetig zunimmt. Das heißt, dass dieselbe Menge an Produkten mit immer weniger Arbeitskräften hergestellt werden kann. Derzeit liegt die Produktivität in Deutschland bei rund einem Prozent. Damit die Arbeitslosigkeit nicht allein schon aufgrund des Produktivitätszuwachses zunimmt, müsste die Wirtschaft auch um ein Prozent wachsen.

Auf das Zinsniveau hat ein geringeres Wirtschaftswachstum nur indirekt Einfluss: Wahrscheinlich wird die Zentralbank versuchen, durch niedrigere Zinsen die Kreditaufnahme zu verbilligen und dadurch die Konjunktur anzukurbeln. Allerdings ist diese Aufgabe seit der Einführung des Euro an die Europäische Zentralbank übertragen worden. Diese richtet sich nach der Wirtschaftsentwicklung in der gesamten Eurozone.

Gesetzt den Fall, die anderen Länder bringen ihre Konjunktur schneller wieder auf Trab als Deutschland, könnte die Zentralbank die Zinsen im europäischen Interesse wieder anheben, auch wenn das der deutschen Wirtschaft schadet.

KATHARINA KOUFEN