Aus dem Winterhaus

Roots-Schmankerl aus heimischem Anbau: „Fink“, „Ja König Ja“, Red, „Veranda Music“ und „Acadian Post“ beim XXS-Records-Labelabend

von MARC PESCHKE

Im Country und Folk wimmelte es seit jeher von ungläubigen Sündern und armen Teufeln, die schneller als sie denken konnten aus dem Leben ins Reich der Toten gerissen wurden. Der Tod kriegt jeden, den er will. Hier gelten noch die alten, einfachen Wahrheiten: Wer sündigt, dem wird selten vergeben. Also aufgepasst: Eine Sünde wär‘s nämlich, sich „The modern sounds of XXS Records“ nicht anzusehen.

Denn da werkelt eine kleine Plattenfirma in der Wohlwillstraße seit Jahren erfolgreich an einem originellen Labelsound und sieht Bands wachsen und gedeihen. Meistens solche, die dem nostalgisch-schönen Schnarren einer Gitarrensaite mehr abgewinnen können als jedem Klang aus neuer Software. Irgendwo zwischen Country, Folk und Singer/Songwritermusik hat sich das Label eingerichtet. Natürlich keine Ecke, um reich zu werden – vielleicht aber glücklich. Jetzt schickt XXS seine schönsten Pferde und kühnsten Reiter in die Arena: zum Labelfest im großen Saal der Markthalle.

Auch diese Halle werden Ja König Ja in ein behagliches Wohnzimmer verwandeln. Und bestimmt auch ein paar alte Stücke spielen: „Fütter die Katze“, „Rotkohl“, „Sommerkleid“ und „Aus unserem Winterhaus“ hießen die schönsten Perlen Hamburger Melancholie früher, demnächst erscheint – bei XXS – das vierte Album der Gruppe. Jakobus Siebels und Ebba Durstewitz, die Protagonisten von Ja König Ja, ergänzen sich nahezu vollkommen: Da ist nichts Kapriziöses, über das man stolpern könnte. Die dunklen Cellolinien Durstewitz‘, die rhythmischen Gitarren- und Banjopickings Siebels‘, der mehrstimmige Gesang und die musikalische Verstärkung durch Akkordeon, Melodika, Xylophon, Kontrabass und Schlagzeug – all das passt hervorragend zusammen.

Mit dabei sind außerdem Fink, nichts weniger als die erste gute deutschsprachige Countryband und anfangs Vertragskünstler bei XXS. Amerikanisch sind die volksmusikalischen Vorbilder, pragmatisch-unprätentiös die Idee: Mal sehen, was so ein alter Hut wie Countrymusik hier und heute noch hergeben kann. Mit Banjo, Bass, E-Gitarre, Mundharmonika und schepperndem Schlagzeug suchen sie nach den Stapfen, die Cash, Guthrie und Co. hinterlassen haben, gemischt mit einer guten Portion Großstadt-Poesie in Erdtönen.

Ankommen ist eine Sache, doch Unterwegs-Sein ist genauso wichtig. Musikalisch wird die ganze Idee vom grob geschnitztem Fink-Folk zusammengehalten, versetzt mit Cajun, Walzer und Jazzigem. So etwas gab es noch nicht im deutschen Pop, eine Akustik-Gitarre wie von Bob Dylan, eine flirrende Mariachi-Trompete und dann ein treibender Cajun-Rhythmus. Dazu noch etwas Polka, Walzer, Chanson, Seefahrer-Romantik und eine heulende Gitarre, die so klingt wie die Coyoten hinter den Bergen. Die Menschen aus den Texten von Sänger Nils Koppruch reden immerzu, erzählen von ihren Krisen und lesen sich aus Liebesbriefen vor. Manchmal verharren sie auch in stummer Betrachtung ihrer Umgebung. Vor allem die detaillierte Beschreibung dieser Welt fasziniert an den Liedern, ein Holztisch mit frischen Blumen, ein Fluß aus Tränen, Koppruch erzählt alte Geschichten, doch findet er immer noch neue Worte für sie.

Die Männer in diesen Geschichten sind auf der Suche, nicht nach Gold und Geld, sondern nach Liebe. Dazu besteigen sie Pferde, reiten gemeinsam und trennen sich wieder, stehen frühmorgens am Hafen, blicken in den Nebel – und warten auf den Dampfer, der „Zukunft“ heißt. Die Zukunft, das ist meistens eine Frau, die früher da war und fortgegangen ist. Wenn man die Welt in Ruhe und ganz genau ansieht, dann kleiden sich ihre Geheimnisse in reine Poesie. Dann werden sie beinahe von alleine zu trauriger Musik. Als Gäste bei Fink an diesem Abend dabei: Ecki Heins von Cow an der Fiddle und Günther Maertens am Bass.

Noch düsterer und verstörender als Fink klingen Veranda Music, die im November Marianne Faithfull auf ihrer Deutschlandtournee begleiten werden. Folk-Noir? Existenzialisten-Blues? Auf alle Fälle hat Die Zeit selten so geschwärmt: „Handgezupft blättert die Farbe vom Holz ab, milde, warme Luft stellt sich da ein, ein Hauch von Grandezza weht zwischen weißen Pfeilern, Stil in jedem Fall.“

Mit dabei ist schließlich noch Red, der Sänger von Missouri, mit seinem Soloprogramm – ein bleicher junger Mann im Anzug, der ein bisschen an Nick Cave erinnert – und Acadian Post, der neueste Leckerbissen bei XXS. Vor David Lowerys Cracker hatten sie ihren ersten richtigen Auftritt: Mariachi à la Calexico, Jazzgeist und Straßenmusik-Erfahrung ergänzen sich da – zumindest auf dem von Dinesh Ketelsen (Fink) produzierten, demnächst erscheinenden Album – ziemlich virtuos. Wie gesagt: Hingehen ist wärmstens empfohlen.

Freitag, 20 Uhr, Markthalle