Egoistische Pop-Planeten

Autistisch Laufsteg-Träume live durchleben, einander aber nicht berühren: „unitedOFFproductions“ aus Braunschweig bringen beim Festival für Politik im Freien Theater mit „Drift“ einen mobilen Clubabend auf die Malersaal-Bühne

In der Zeitrechnung des Theaters wäre Mitte der neunziger Jahre eine neue Revolution gefragt gewesen. Aber die jungen Theatermacher dachten nicht an Aufstände und die Übernahme von Häusern, wie es die Regiegeneration von 68 getan hatte. Dafür saßen Leute wie Peymann, Stein und Zadek zu gemütlich in ihren Sesseln. Stattdessen wurden neue Stilmittel erfunden, die das wegbleibende junge Publikum zurückholen sollten.

Dies war die Geburtsstunde des „Pop-Theaters“. Den Regieschülern der Flimm-Schule in Hamburg waren die Charts näher als Bach oder Brecht. An Performance-Universitäten wie Gießen oder Hildesheim wurde mit zeitgenössischem und autobiographischem Material gearbeitet. „,Pop‘ bedeutet hingerissen auf das Hinreißende hinzuweisen“, sagt Rainald Goetz.

So kann es nicht verwundern, dass immer wieder Gegenwartsstücke auch in einen Dico-Club Kontext gesetzt werden. 1999 etwa gründeten der Regisseur Dieter Krockauer und die Schauspielerin Mirca Preißler die Theatergruppe unitedOFFproductions. Ein Jahr später kamen sie in Braunschweig mit Drift, ihrem ersten mobilen Clubabend für die Bühne, heraus. Das Stück spielt in einem 70er Jahre-Ambiente eines Nachtclubs. Beleuchtet wird die Szenerie fast ausschließlich von Monitoren, Stehlampen und Videowänden.

Das Ambiente: eine Discothek, die erst in einigen Stunden öffnen wird. Die Sonne ist längst untergegangen; zwei Männer und eine Frau sprechen über ihre Leben, inkusive aller verpassten Chancen. Und so erzählen sie die Jugend von Brad Pitt nach und konstatieren, dass Fußballtrainer die besseren, zumindest aber die ehrlicheren Politiker wären. Dabei wechselt jeder Akteur permanent seine Rolle auf der Bühne. War die junge Frau gerade noch Berit, die mit allem abgeschlossen hat, ist sie in der nächsten Sequenz schon Lucia, eine Automechanikerin die auf SM-Praktiken und französische Existenzialisten steht. Und während sie autoerotische Tänze vollführt, bereitet sich der eine Mann auf ein Gitarrensolo vor, derweil der andere seine Laufsteg-Träume live durchlebt.

unitedOFFproductions haben die Texte des Stücks gemeinsam entwickelt und ausgearbeitet. Die Figuren im Universum des Nachtclubs sind Planeten, die einander permanent beobachten und, von Sehnsucht getrieben, ständig versuchen, einander näher zu kommen. Aber ihre Bahnen sind festgeschrieben, ihr Misstrauen und ihre Egos sind zu groß, als dass sie sich jemals wirklich berühren würden.

Die Produktion Drift gewann 2001 den Preis der Niedersächsischen Lottostiftung als beste freie Inszenierung. Über die Berechtigung dieses Preises wird sich, wer mag, morgen live ein Urteil bilden können.

ARSEN DEDIC

Premiere Freitag, 25. Oktober, 21 Uhr, Malersaal. Weiter Vorstellungen: 27.+28. Oktober, jeweils 20 Uhr