In der Not der Selbstverteidigung

Eltern von Achidi John legen Beschwerde gegen Einstellung des Verfahrens um den Brechmitteltod ihres Sohnes im UKE ein. Staatsanwaltschaft weigerte sich, gegen Ärztin und Polizisten zu ermitteln und wird daher der Vertuschung verdächtigt

„Deutlicher kann ein Anfangsverdacht für ein Tötungsdelikt nicht sein“

Von KAI VON APPEN

Die Rechtsanwältin Gabriele Heinecke und ihr Kollege Martin Klingner wollen nicht zulassen, dass die Akte einfach geschlossen wird: Zehn Monate nach dem Brechmitteltod des Kameruners Achidi John in der Rechtmedizin der Universitätsklinik Eppendorf (UKE) haben die Juristen im Auftrag der in Nigeria lebenden Eltern gegen einen Beschluss der Staatsanwaltschaft Beschwerde eingelegt: Diese hatte ohne Ermittlungen das Verfahren gegen die verantwortliche Ärztin Ute Lockemann eingestellt. „Wir fordern die unverzügliche Einleitung eines Ermittlungsverfahrens und eine Überprüfung der Todesumstände durch unabhängige Sachverständige“, sagt Heinecke. Über die Beschwerde entscheidet die Generalstaatsanwaltschaft, notfalls wollen die Anwälte ein Klageerzwingungsverfahren beantragen.

Von Anfang an habe die Anklagebehörde ihre schützende Hand über den Fall gehalten. „Tatsache ist, dass Achidi John unmittelbar durch die gegen ihn zwangsweise durchgeführte Brechmittelvergabe – ein eindeutiger Verstoß gegen die Antifolterkonvention – zu Tode gekommen ist“, konstatiert Heinecke: „Deutlicher kann ein Anfangsverdacht für ein Tötungsdelikt nicht sein.“

Achidi John war am Morgen des 9. Dezember als mutmaßlicher Drogendealer von Polizisten in die Rechtsmedizin gebracht worden. Angeblich hatte ein Staatsanwalt die Brechmittelvergabe angeordnet. „Davon befindet sich in den Akten jedoch nichts“, sagt Klingner. Entgegen der Angaben Lockemanns, sie habe auf eine freiwillige Einnahme des Brechmittels gedrängt, gibt eine Medizin-Studentin an, Lockemann sei gleich mit der Sonde zur Sache gegangen. Mehrere Polizisten hielten den Jugendlichen dabei auf dem Boden liegend fest, um die Sonde durch die Nase in den Magen einzuführen. Zwei Mal musste die Prozedur abgebrochen werden. Nach der erfolgreichen Brechmittelverabreichung beim dritten Versuch brach John zusammen, dennoch wurde erst nach Minuten die Wiederbelebung eingeleitet.

Trotzdem hatte die Anklagebehörde nur ein Vorermittlungsverfahren darüber eingeleitet, ob überhaupt ein Verschulden vorliege. Im Sommer sind diese Vorermittlungen auf der Basis eines Gutachtens eines Herzspezialisten eingestellt worden, da Achidi John einen Herzfehler gehabt haben und dies der Anlass für den Herzstillstand gewesen sein könnte, der den Gehirntod auslöste. Heinecke bezweifelt diese Version. „Es kann auch sein, dass er beim gewaltsamen Einführen der Magensonde versehentlich erwürgt wurde“, sagt sie. „Auch die Möglichkeit eines Kunstfehlers wäre erklärlich, wenn die Sonde unsachgemäß eingeführt worden ist.“ Gegen die Herzfehlertheorie spreche, dass die Herzfunktion kurz nach Einleitung der Reanimation sofort aussetzte. „Das ist bei einem Herzfehler untypisch“, hat sich Heinecke sagen lassen. „Keiner der alarmierten Anästhesisten ist aber je als Zeuge vernommen worden.“

Heinecke kann sich das Verhalten der Staatsanwaltschaft nur so erklären, dass „sie sich im Zustand der Selbstverteidigung befindet“. Denn die Anordnung zum Brechmitteleinsatz sei schließlich von ihr selbst gekommen. „Die Ursache, die sie selbst gesetzt hat, müsste sie jetzt überprüfen.“

Zur Finanzierung des Verfahrens findet am Samstag das „Dead by law“-Benefizkonzert in der Roten Flora statt. Ab 20.30 Uhr spielen Rantanplan, Microphone Mafia, Fink und Bernadette La Hengst