piwik no script img

offkinoFilme aus dem Archiv – frisch gesichtet

„Er hört immer zu und redet nie ein Wort zu viel“, sagt Takuro einmal über sein ungewöhnliches Haustier, einen Aal. Mit den Menschen hat Takuro dagegen eher Probleme: Die Angst vor dem Kontakt überwiegt seinen Wunsch nach Kommunikation. Der japanische Regiealtmeister Shohei Imamura findet in seinem 1998 bei den Filmfestspielen von Cannes mit der Goldenen Palme prämierten Werk „Der Aal“ dafür ein treffendes Bild: In ein kühles blaues Licht getaucht, presst Takuro seine Wange an die kalte Glasscheibe des Aquariums, als ob er den darin befindlichen Fisch liebkosen wollte. Der einzelgängerische, sich in schlammigem Wasser versteckende Aal steht als Metapher für Takuro selbst: Seit dieser einst aus Eifersucht seine Frau getötet hat, redet er mit seinen Mitmenschen nur das Nötigste und hält sich vor allem von Frauen fern. Denn unausgesprochen, aber in seinen Alpträumen stets präsent, gibt es da die Angst, das einstige Drama könnte sich wiederholen. Erst als sich die junge Keiko, die er zufällig vor dem Selbstmord bewahrt hat, sanft und beharrlich in sein Leben drängt, gibt er – nach einer längeren Phase des Widerstands – seine Isolation auf. Ruhig und undramatisch, oft auch ironisch erzählt Imamura diese Fabel von der Kommunikationsunfähigkeit moderner Japaner, in der jede Enthüllung und jedes Geständnis stets den Umweg über dritte Personen nimmt, weil die Protagonisten den Mut nicht aufbringen, ihre Gefühle direkt zu äußern. Nur ein überaus roher Exmithäftling vermag Takuro die unangenehmen Wahrheiten ins Gesicht zu schleudern, die diesen letztlich bewegen, sein Leben zu ändern. Das ist dann nicht nur reichlich tragikomisch, es stimmt auch irgendwie optimistisch.

„Der Aal“ (OmU), 27. 10. im Arsenal 1

***

Ihre Bühnenfiguren hatten die ursprünglich als Gesangstruppe gestarteten Marx Brothers bei ausgedehnten Vaudeville-Tourneen in den Zehner- und Zwanzigerjahren entwickelt: Groucho parodierte in der Regel „Respektspersonen“ (sein Spektrum reichte vom Professor bis zum Premierminister), Chico gab mit viel Gequassel und völlig verquerer Logik einen falschen Italiener, Harpo dagegen blieb stumm, zappelte umso mehr und spielte Harfe. Als die Brüder 1929 ihre erfolgreiche Bühnenproduktion „The Cocoanuts“ auch als Film herausbrachten, waren sie mit ihren anarchischen Wortspielen, sarkastischen Pläsanterien und der radikalen Demontage von Autoritäten und Institutionen eine Sensation. Doch ihr Stern begann relativ schnell zu sinken: Man fand heraus, dass die Marx Brothers praktisch keine weiblichen Fans hatten – Frauen waren die Komiker einfach zu unsympathisch. Zugegeben: Wirklich attraktiv waren die Brüder nicht, und dann diente ihre ständige Sketchpartnerin Margaret Dumont auch noch unentwegt als Zielscheibe für Grouchos Anzüglichkeiten. Als die Marx Brothers schließlich von Paramount zu MGM wechselten, rettete man ihre Filmkarriere um den Preis eines Kompromisses. Die Brüder mussten sich und ihre anarchische Komik von nun an in den Dienst einer guten Sache stellen – in der Regel bedeutete dies, ein jugendliches, meist singendes Liebespaar aus allerlei Notsituationen zu erretten. Nicht anders ergeht es ihnen in Charles Riesners „Die Marx Brothers im Kaufhaus“ (1941), wo sie dem netten (und natürlich singenden) Neffen der Besitzerin gegenüber dem betrügerischen Geschäftsführer zu seinem Recht verhelfen. Zweifellos leidet der Film an einer Überdosis Tony Martin – doch die Szenen der Brüder sind noch immer grandios: Den Warenabsatz mit einer Musicalnummer namens „Sing while you sell“ anzukurbeln und dabei die unvergessliche Textzeile „This birdy goes with Verdi“ zum Besten zu geben – damit konnte nur Groucho Marx davonkommen.

„Die Marx Brothers im Kaufhaus“, 28. 10. bis 30. 10. im Lichtblick

***

Apropos Musicalnummern: Richtig brandaktuell ist da natürlich der seltsame, auf die Zufuhr von allerlei Halluzinogenen zurückzuführende Traum, der Jeff „The Dude“ Lebowski plötzlich gemeinsam mit Saddam Hussein in ein Busby-Berkeley-artiges Musical versetzt. Doch davon lässt sich dieser letzte Aufrechte („Ich bin Pazifist“), der sich in Joel Coens absurder Komödie „The Big Lebowski“ durch ein mit bowlenden Päderasten und deutschen Nihilisten bevölkertes Los Angeles zur Zeit des ersten Golfkrieges bewegt, letztlich genauso wenig stören wie von der fortschreitenden Demontage seines Autos.

„The Big Lebowski“ (OmU),24. 10. bis 30. 10. im Moviemento 2

LARS PENNING

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen