mit cord in der trendzeitschleife von HARTMUT EL KURDI
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Die aktuelle Modesaison sollte für mich Fashionschrulle eigentlich eine paradiesische sein, ist aber mindestens die Vorhölle. Da hegt man seit Jahren eine abseitige Vorliebe für Cordanzüge, lässt sich dafür vom gesamten Bekanntenkreis und angetrunkenen Fremden hänseln, kauft die Objekte der Begierde in dunklen Seitenstraßen, bei Zeitschleifen-Herrenausstattern, deren Personal nach Pitralon riecht, Menjoubärtchen trägt und das dünne, aber schulterlange Seitenkopfhaar quer über die Glatze legt und mit gutem Butterschmalz festzementiert – und dann sowas: Cord an jeder Ecke!

Da war man bereit, jede nur annähernd passende Größe und wirklich jede Farbe – inklusive eines angegrünten Stirnhöhlenentzündungsgelbs – zu akzeptieren, nur um überhaupt zu einem Anzug zu kommen, sozusagen das Konsumentenverhalten der DDR im Kleinen nachzuvollziehen – und dann sowas: Fucking Cord an jeder fucking Ecke!

Sogar Jörg Pilawa, die Lätta unter den TV-Moderatoren, trägt einen Cordanzug. Seit meinem Kindheitsjahrzehnt, den Siebzigerjahren, in denen nicht nur Hosen, Jacken und Hemden, sondern auch Sofas und Autositze aus Cord gefertigt, wahrscheinlich sogar Kreißsäle mit braunem Cord ausgeschlagen wurden, habe ich nicht mehr so viel „Manchester“-Stoff gesehen!

Angekündigt hatte sich der Bruch des seit den Mittachtzigern existierenden Cordtabus allerdings schon seit einigen Jahren. Zunächst noch selten, dann immer regelmäßiger, wie zur langsamen Immunisierung, tauchten bei H & M und anderen Mainstream-Trendsettern Cordprodukte in kleinen Stückzahlen auf, mal eine Tasche, mal ein Rucksack, mal ein Hemd – und da die Gesellschaft sich weder wehrte noch hoch zu fiebern begann, wagte die Modeindustrie jetzt den Frontalangriff. Als ich vor kurzem die Frankfurter Buchmesse besuchte, glaubte ich, in die bisher ungesendete Cordfolge von „Buffy – Im Bann der Dämonen“ geraten zu sein. Einmal stand ich sogar neben drei anderen Cordanzügen am Urinal! Wohin ich mich auch drehte und wendete, hinter jeder Ecke, an jedem Stand: Cord, Cord, Cord. Selten schlug meine eigene Armseligkeit so zaunlattenmäßig auf mich zurück. Lauter kleine Cordanzug-Eulenspiegel hielten mir ihren Dings vor, über jedem Kopf schwebte eine Denkblase, in die mit rattelschneckscher Krakelschrift das Cordanzug-Selbstbeschiss-Credo gekritzelt war: „Ein Cordanzug ist nicht so unlocker wie ein normaler Anzug, mit einem Cordanzug ist man leger, aber trotzdem komplett gekleidet, ein Cordanzug verströmt sowohl großväterlichen Gelehrtencharme wie auch jugendliche Hipness. Kurzum: Cord ist scheißecool!“

Ich schämte mich. Und doch spürte ich bald, wie es wieder modisch in mir gärte. Plötzlich spürte ich eine Sehnsucht nach einem dicken, abgetragenen, armeedeckenartigen Tweedanzug wachsen. So einen, mit dem man wie in „Der Doktor und das liebe Vieh“ Kühen beim Kalben behilflich sein kann. Und wieder zog ich los, mein Glück in den schlecht beleuchteten Seitenstraßen zu finden …