Die neue alte Heimat

Neuseelands Ureinwohner wollen das Recht auf ihre Kultur und Tradition auch im Internet behaupten. Die Regierung unterstützt sie dabei und will alle Einwohner der Insel ins Netz bringen

von MICHAEL LENZ

Die Entscheidung darf als historisch gelten. Mit dem offiziellen Zusatz „Maori“ vor dem Länderkürzel „.nz“ besitzen die Ureinwohner von Aotearoa, wie Neuseeland in ihrer Sprache heißt, eine eigene, international anerkannte Heimatadresse. Die erste ihrer realen Geschichte, und wohl auch die erste dieser Art im Internet.

„Maori zu sein bedeutet mehr, als nur einer Rasse anzugehören“, sagt Karaitiana Taiuru, ehemaliger Vorsitzender der „Te whanau ipurangi/NZ maori internet society (www.nzmis.org .nz). „Es geht um spirituelle und kulturelle Werte. Echte Maori können ihre whakapapa (Ahnenkette) bis zu ihren Göttern zurückverfolgen, und wollen ihr Recht, Maori zu sein, auch im Internet ausüben. Ebendieses Recht haben ihnen die weißen Siedler auf der realen Insel gut 150 Jahre lang verweigert. „Die alten Gesetze hatten uns gar die Benutzung unserer Sprache verboten“, klagt Taiuru.

Heute bemüht sich die Regierung, die Benachteiligung abzubauen. Aotearoa ist offiziell ein zweisprachiges Land, Informationsbroschüren von Behörden und Unternehmen, Institutionen und Organisationen sind in Maori und Englisch zugänglich, Reden von Politikern oder Kirchenführern, Unternehmenschefs oder Umweltorganisationen beginnen mit maorischen Begrüßungsformeln.

So wuchs unter den Maori der Wunsch, ihre Identität auch im Internet wiederzufinden. Der bereits gebräuchliche Second-Level-Zusatz „iwi“, das Maori-Wort für „Stamm“, befriedigte dieses Bedürfnis nicht. „Das war nur ein erster Schritt.“ sagt Taiuru. Im März stimmten in einer Umfrage unter Maori 91,7 Prozent für die Einführung von Maori.nz.

Taiuru hält das Internet für die wichtigste Neuerung seit Erfindung der Kanus, in denen seine Vorfahren etwa im 14. Jahrhundert von ihrer polynesischen Heimat aus auf große Fahrt gingen und Aotearoa, das „Land des langen Tages“, entdeckten. Einige hundert Interessenten haben inzwischen ihre Webseiten unter dem neuen Dach eingerichtet. „Bereits in den ersten 24 Stunden nach der Zulassung hatten wir gut 200 Registrierungen. Die Anmeldungen reichen von Schulen über kulturelle Einrichtungen bis Sportorganisationen. Und natürlich die unvermeidlichen Anbieter von Sex“, sagt Debbie Monahan, verantwortlich für Domainnamen bei „InternetNZ“ (www.isocnz.org.nz). Unmut löste dann allerdings die Entdeckung aus, dass sich der skandalumwitterte Unternehmer Craig Beecroft schon vor zwei Jahren lukrative maori.nz-Internetadressen gesichert hatte. Darunter die Namen großer Maoristämme, die Beecroft jetzt für viel Geld zum Kauf anbietet.

Soziale Experimente

Ein Domainname zur Sicherung der eingeborenen Cyberpräsenz ist eine Sache. Eine andere aber ist der Zugang zum Netz. Während laut Volkszählung vom vergangenen Jahr gut die Hälfte aller neuseeländischen Haushalte über rorohiko (Computer) und pouaka whakarerekë ngaru (Modem) verfügten, waren es bei den Maori nur ein Drittel. Dabei haben die Kiwis, wie sich die Neuseeländer jeglicher ethnischer Herkunft nennen, ehrgeizige Onlineziele: Binnen zwei Jahren sollen sie von der Geburtsurkunde über die Steuererklärung bis zum Sterbefall alle Behördenkontakte online erledigen können. „Government@your Service“, sagt die Ministerpräsidentin Helen Clark: „Wir müssen die digitalen Gräben überwinden, und wir müssen so schnittig und hoch technologisch werden wie die Jachten, die uns den Gewinn des America Cup eingebracht haben.“

Der Stadtteil Newtown von Neuseelands Hauptstadt Wellington dient als Experimentierfeld für solche Pläne. Maori jeden Alters, neue Einwanderer von den Nachbarinseln, Studenten, Arbeitslose und Akademiker leben hier eng zusammen. Seit Dezember 2001 stehen ihnen im Pacific Islander Network Center zehn Computerarbeitsplätze mit kostenlosem Zugang zum iporangi (Internet) zur Verfügung. „Wir haben regen Zulauf aus allen Schichten der Bevölkerung und allen Altersgruppen“, erzählt Projektleiterin Pepe Robertson. „Die Einwanderer benutzen das Medium, um Kontakt mit Verwandten herzustellen, oder auch, um sich über die politische Situation in ihrer Heimat zu informieren. Ein beträchtlicher Teil aber sucht online nach Jobs.“

Und wer sich nicht mit Computern auskennt? „Kein Problem. Wir bieten Schulungskurse an, die speziell auf bestimmte Gruppen zugeschnitten sind. Wir trainieren jedoch nicht nur technische Fähigkeiten, sondern helfen auch zum Beispiel, das richtige Abfassen einer Bewerbung zu lernen.“

„Computer in Haushalte“ (rorohiko I roto nga kainga, (www .computersinhomes.org.nz) ist ein weiterer Programmpunkt der gewitzten Kiwis auf dem Weg in die vernetzte Gesellschaft. Familien mit geringem Einkommen können gegen eine geringe Gebühr und bestimmte Auflagen wie Teilnahme an Schulungskursen einen Computer bekommen. Bei den Rechnern handelt es sich um ausgemusterte Modelle aus Behörden und Ministerien, die von einem Vertragsunternehmen überholt und bei Bedarf nachgerüstet werden. Oder auch das von Fujitsu gesponserte Internetcafé im Wohnblock Newtown Flats, in dem 450 einkommensschwache Bürger unter fachkundiger Anleitung den Umgang mit der Cyberwelt lernen. Bill McClean ist einer von ihnen. „Ich finde das prima. Seit zwei Monaten habe ich wieder einen Job, und die Stelle habe ich über das Internet gefunden“, erzählt der 43-Jährige. Und fügt grinsend hinzu: „Seit kurzem treffe ich mich auch regelmäßig mit Janine. Die habe ich in einem dieser Chaträume kennen gelernt.“

Robertson ist es gleich, was ihre Schützlinge online treiben. „Sie haben jedes Recht, wie alle anderen auch, zu chatten, Sexseiten anzusurfen, oder ihre Diplomarbeit zu tippen. Das ist der Sinn des Projekts: volle Teilhabe an den Möglichkeiten des Internets.“ Begleitet werden die Projekte von Sozialwissenschaftlern der Universitäten Victoria in Wellington und Massey in Palmerston North, die unter anderem herausfinden wollen, welche Auswirkungen Computer und Internet auf das Familienleben haben oder ob die durch den Gebrauch der zusätzlichen elektrischen Geräte gestiegene Stromrechnung zu finanziellen Einschränkungen in anderen Bereichen geführt hat.

Karaitiana Taiuru findet solche Pilotprojekte einfach nur „wunderbar“ und exportwürdig. „Wir Neuseeländer mögen ein rustikales Image haben. Aber wir sind ganz bestimmt nicht rückwärts gewandt. Ich glaube, viele Länder können von uns Kiwis lernen.“ Taiuru hofft aber auch, dass maori.nz Nachahmer findet. „Immerhin waren wir eingeborenen Völker die ersten Nationen auf dieser Welt, und das sollte sich auch in der Cyberwelt widerspiegeln.“

ozlenz@yahoo.com