Pessimistisches Manifest

Fürs ernsthafte Denken sind die Männer zuständig: Elfriede Jelineks „Prinzessinnendramen“, uraufgeführt im Malersaal, deklinieren wieder einmal den Geschlechterkampf durch

von KARIN LIEBE

Lust auf den neuen Look? Ein weißes langes Wollkleid, fedrig-pudrig, durchsichtig und mit kleiner Schleppe. Oder ein rotes langes Häkelkleid, perfekt auf Figur geschnitten. Oder ein weißes Leinenkleid, bauschig und mädchenhaft. Prinzessinnenkleider. Lust auf den neuen Look. Mit diesem Titel hat am Tag der Uraufführung von Elfriede Jelineks Prinzessinnendramen – Der Tod und das Mädchen I-III ein neues Frauenmagazin gestartet (taz berichtete). Das Covermodel von Woman sieht zwar nicht prinzessinnenhaft aus, scheint sich aber immens für die drei Basics – Mode, Make-up, Frisuren – zu interessieren.

Das geht Jelineks Märchenfiguren nicht viel anders. Schneewittchen (Ursula Doll), Dornröschen (Ursina Lardi) und Rosamunde (Marlen Diekhoff) räsonnieren zwar auch über Modediktate, doch fürs ernsthafte Denken, für die Sparten Wahrheit und Tod, sind wieder einmal die Männer zuständig. Nach ihren letzten, auf Tagespolitisches – etwa die rechtsradikalen Mordanschläge im Burgenland – Bezug nehmenden Theaterstücken wendet sich Elfriede Jelinek jetzt wieder ihrem Lieblingsthema zu: dem Geschlechterkampf.

In drei Akten stehen sich jeweils ein Mann und eine Frau gegenüber. Im ersten Akt tötet der Jäger im Wald Schneewittchen. Wie ein erlegtes Wild schultert Martin Bross die Leblose, noch als Tote ist sei schön wie ein Schwan. Im zweiten Akt erweckt der Prinz (Florian Lange) Dornröschen mit einem Kuss zum Leben, im dritten demütigt Fulvio (Sebastian Weber) die alternde Rosamunde.

Mord, Größenwahn, Sadismus: drei zeitlose Varianten männlicher Machtdemonstration. Jelinek, die Sprachkünstlerin, tobt sich hier gründlich aus; die Dramatikerin bleibt im Hintergrund. Das Stück ist überfrachtet mit Symbolismen und assoziativen Sprachspielen, droht anfangs daran zu ersticken. Auf nackter Bühne (Thomas Schuster) stehen Schneewittchen und der Jäger herum, die Gesichter wie eingefroren. Der Jäger behauptet, er sei die Wahrheit, dann, er sei der Tod. Noch größenwahnsinniger ist der Prinz, wenn er sagt: „Ich bin Gott.“ Dann zieht er sich ein Teddybärenkostüm mit erigiertem Plüschpenis an und fickt Dornröschen im Hasenkostüm mit applizierter Vulva von hinten.

Im dritten Akt kulminiert das Stück in verbalen Explosionen. Dass Rosamunde – eine Figur aus dem gleichnamigen Melodram von Helmina von Chézys – das Alter Ego der Autorin sein soll, erschließt sich nicht unbedingt aus dem sperrigen Text. Rosamunde (Marlen Diekhoff) wirkt zunächst wie eine starke Frau, doch wenn Fulvio sie zwecks Figurerhaltung mit dem Befehl „Lauf“ antreibt, trabt sie brav im Kreis und übt Selbsthass über ihre Problemzonen. Zum Schluss wird Rosamunde nicht von Fulvio getötet, das übernimmt die Masochistin lieber selbst. Sie entscheidet sich dafür, als Schriftstellerin zu verstummen.

Bei Jelinek ist das nicht zu befürchten: Teil 4 und 5 der Prinzessinnendramen hat sie bereits vollendet. Die ersten drei Teile jedenfalls sind ein ziemlich sperriges, pessimistisches Manifest über Schönheit, Wahrheit, Tod. Aber es hat auch seine (freiwillig) komischen Seiten. So behaupten die Zwerge, Schneewittchen hätte sich deshalb im Wald verirrt, weil sie ihre Wanderkarte verkehrt herum gehalten hätte. „Was die Schönheit für Täler gehalten hat, waren in Wirklichkeit Berge.“ Weil Regisseur Laurent Chétouane in seiner wohltuend zurückgenommenen Inszenierung die Schauspieler sehr akzentuiert und langsam sprechen lässt, kann sich der Jelineksche Sprachwitz voll entfalten. Chétouane hält sich genau an den Text, nichts lenkt ab. Höchstens die Kostüme. Schön sind sie allemal.

Nächste Vorstellung: am 2.November, 20 Uhr, Malersaal