Gräten fürs Filet

Wiglaf Droste zeigte im Schlachthof, wie man sehr schön sehr unbeholfen dasteht

„Ich hoffe“, sagt Wiglaf Droste, „dass Sie heute Abend für einige Albernheiten Verständnis zeigen“. Sicher doch. Immer schön anzusehen, wie so eine Vereinbarung funktioniert. Er da oben, wir hier unten. Keiner lässt sich aus der Ruhe bringen. Und alle haben Spaß. Auch wenn es für den Autor und seine drei musikalischen Begleiter der 32. von gut fünfzig Abenden in Serie ist. „Dann ist Winter und ich breche kontrolliert zusammen.“ Vergnügen, auch wenn die so locker in den Raum tänzelnden Kommentare weit gehend jenen im Booklet der aktuellen CD „Wolken ziehn“ gleichen.

Gut zweieinhalb Stunden erfreut Droste das überaus geneigte Publikum mit kurzen Texten, wie immer, und mit, nun ja: Chansons. Wie oft in letzter Zeit. Besonders gut singen kann er nicht, der Droste. Aber irgendwie doch, schließlich ist die Kesselhalle keine Opernbühne. Und er kann sehr schön sehr unbeholfen dastehen. Am Bühnenrand. Im mäßig sitzenden Anzug. Er erzählt und singt von eigentümlichen Charakteren, die das ganze Ausmaß der Katastrophe vielleicht nicht sehen können – es aber trotzdem ahnen.

Von Zügen geht die Rede, die ihr Ziel stets zu spät erreichen. Vom Zugführer, der „in großer schöner Einfachheit“ sagt, „ich kümmere mich“, wenn die Droste-Figur ihn mit hanebüchenem Meine-Frau-liegt-in-den-Wehen zur Eile mahnt. Oder von Hans, der sich als Grätenwerfer in der Fischmehlproduktion verdingt. „Die Suche nach der sinnlosesten aller Arbeiten, die immer auch die sozialdemokratischste aller Arbeiten ist“. Dank Hans bleiben die Schlemmerfilets glaubwürdig – kein Filet ohne Gräte. Oder aber von der nicht mehr ganz jungen Damenreisegruppe, die eine Mischung aus Umtrunk und Untenrum durchs Großraumabteil schwappen lässt.

Überhaupt: Die Frauen. Der bekennende Frauenliebhaber Droste schafft es, tatsächlich schöne, leise Liebeslieder zu machen, die so gar nichts Brachial-antifeministisches an sich haben. Etwa das in der ihm eigenen Bescheidenheit als „Requiem“ angekündigte „Wolken ziehn“. Auch die Herren der Schöpfung – Droste selbst auch mal allen voran – kommen nicht rosenduftend-göttergleich daher. Ohne schwül-kumpelhafte Geste.

Dafür ist das Spardosenterzett zu elegant. Sie sehen aus wie Jazzmusikerdarsteller. Nur dass sie auch spielen können. Und texten. Kai Struwe singt das unendlich traurige Stück vom „Jazzkontrabassspieler“. „Da geh ich wohl am besten weit ins Watt / und warte bis die Flut kommt“, heißt es. Soll er nicht. Dafür ist die sparsam instrumentierte Musik zu sehr auf dem Punkt. Sie trägt Droste durch den Abend, mal Uptempo, mal als nöliger Blues. Und niemals blöde strunkelig. Tim Schomacker