Beifall für den Angeklagten

Stehend. Lächelnd. Kaugummi kauend, die Hände in den Taschen. Ein Siegertyp

aus München PHILIPP MAUSSHARDT

Doch kein „Stadelheim Open“. Boris Becker, 34, muss nicht ins Münchner Gefängnis und wird nicht auf dem dortigen „Center Court“ seine Runden drehen. Gestern sprach Richterin Huberta Knöringer, 54, ein mildes Urteil über den Extennisspieler und Medienstar Becker, der zwischen 1991 und 1993 über 3 Millionen Mark an Steuern hinterzogen hat. Er hatte, um dem deutschen Finanzamt zu entgehen, zum Schein seinen Wohnsitz nach Monte Carlo verlegt.

Zwei Tage lang glich das Gerichtsgebäude in der Münchner Neuhauser Straße einer Wagenburg. Rund um den hässlichen Betonbau aus den 80er-Jahren hatten sich die mobilen Satellitensender einen günstigen Standort ausgesucht, um über ihre Antennenschüsseln die Bilder und Nachrichten vom Prozess gegen den einstigen Superstar in alle Welt zu versenden. Boris Becker, das lebende Denkmal, der Fleisch gewordene Tennisschläger der Nation, der prominenteste unter den prominenten Deutschen, saß als Angeklagter auf der Sünderbank in Saal 101, wo ansonsten die großen Mordprozesse abgehandelt werden. Ausnahmezustand für Gerichtsdiener, Gerichtsrentner, Gerichtsreporter, und sogar in der Gerichtskantine hatte man vorsorglich ein paar Salamibrötchen mehr belegt als sonst.

Saaldiener in Bayern, das weiß man seit der Fernsehserie vom „Königlich-Bayerischen Amtsgericht“, tragen Oberlippenbärte und sind etwas ruppig. Die Wachmänner, die den Gerichtssaal vor anstürmenden Zuschauern und Journalisten sichern sollen, erfüllten die Kriterien. Nur 136 Sitzplätze waren schließlich zu vergeben zu dieser Live-Show, die nicht einmal Eintritt kostete. Am ersten Verhandlungstag, dem vergangenen Dienstag, hatten sich manche der Zuschauer schon um 5 Uhr am noch verschlossenen Haupteingang angestellt, und wer drinnen im Saal für Späterkommende Plätze belegte, wurde bayerisch-liebevoll kritisiert: „Weg do, du Saubatzi!“

Noch selten betrat jemals ein Angeklagter den Gerichtssaal so souverän wie Boris Becker. Optisch doppelgleisig, die gegelten Haare auf frecher Junge und den melierten Doppelreiher auf seriösen Geschäftsmann getrimmt, schlenderte er zeitig in den Raum, damit die wartenden Fotografen und Kameraleute noch genügend Zeit für ihre Aufnahmen hatten. „Bitte nur Bilder im Stehen“, hatte Boris den Fotografen befohlen, er wollte sich nicht auf der Anklagebank zwischen seinen beiden Verteidigern sitzend ablichten lassen. Stehend. Lächelnd. Kaugummi kauend, die Hände in den Taschen. Ein Siegertyp eben. Jedenfalls keiner, der damit rechnet, ins Gefängnis zu müssen.

Dabei endete der erste Verhandlungstag mit einem für Nichtjuristen als Sensation aufgefassten Plädoyer des Staatsanwaltes: Dreieinhalb Jahre Haft hatte Staatsanwalt Mathias Musiol, 43, für Becker gefordert, ein Strafrahmen, der in vergleichbaren Fällen von Steuerhinterziehung durchaus üblich ist. Den Staatsanwalt hatte auch das späte Geständnis Beckers im Gerichtssaal nicht sonderlich beeindruckt. Er habe „erhebliche Zweifel an der Schuldeinsicht des Angeklagten“, sagte Musiol.

Sechs Jahre war zuvor gegen Becker schon ermittelt worden, und erst mit dem Gitter vor Augen hatte Boris am ersten Verhandlungstag bekannt: „Ja, ich habe einen Fehler gemacht, und dafür muss ich büßen.“ Nach diesem Satz war erstmals Beifall aufgebrandet im Zuschauerraum, wobei sich nicht abschließend klären ließ, ob es sich dabei um einen Freudenausdruck über die plötzliche Einsichtsfähigkeit oder aber um Schaden- und Vorfreude auf das Büßenmüssen des Stars gehandelt hat.

Besonders auskunftfreudig war Boris Becker immer dann, wenn er die Richterin über die Lebensweise eines Tennisprofis aufklärte: „Wissen Sie, das Büro ist für uns die ganze Welt.“ Oder: „Ich hatte damals nur Tennis im Kopf und manchmal Frauen.“ Da muss doch auch eine Richterin verstehen, dass man sich da nicht um Meldeformalitäten oder gar um Möbel für eine Wohnung kümmert. Die 203 Quadratmeter große Wohnung in München, die er in genau der Zeit nutzte, als er angeblich in Monte Carlo lebte, sei ja im engeren Sinne auch gar keine Wohnung gewesen. Hätte nicht mal eine Küchenzeile besessen. Keinen Schrank. Boris erklärt, Boris erläutert. Nur sagen, wie hoch sein Vermögen ist, will er nicht.

Als einmal der Staatsanwalt den Star aus Leimen nicht richtig versteht, verspricht er sogar: „Ich versuche, hier bei Gericht ein klares Deutsch zu sprechen.“ Alles lacht, Vorteil Bobbele.

Dann kam von Dienstag auf gestern diese Nacht der Ungewissheit, die Nacht zwischen Plädoyer und Urteilsverkündung. Eine Nacht, in der viele Boris Becker schon im Kittchen sahen. Die Diskrepanz zwischen den geforderten dreieinhalb Jahren Gefängnis und einer Bewährungsstrafe (nur bis maxmal zwei Jahren möglich) schien vielen viel zu groß, als dass sie Richterin Knöringer hätte überwinden können.

Der Fleisch gewordene Tennisschläger der Nation auf der Sünderbank

Falsch gedacht. Nachdem Huberta Knöringer gestern Morgen um 9.30 Uhr das Urteil verkündete, klatschten einige im Zuschauerraum befreit in die Hände. Nur drei Menschen buhten. Zwei Jahre Haft, ausgesetzt drei Jahre lang zur Bewährung, und eine Geldstrafe, die sich zusammen mit weiteren Auflagen auf eine halbe Million Euro summiert, nahm Boris Becker „froh und erleichtert“ zur Kenntnis und widerspruchslos in Kauf.

Merkwürdig nur, dass sich die anschließende Urteilsbegründung von Richterin Knöringer anhörte wie eine Urteilsentschuldigung. „Er war jung“, als er das getan hat, „es liegt viele Jahre zurück“, als es passierte. Während sie sprach, schaute sie abwechselnd vom Angeklagten hinüber zum Staatsanwalt. Auch die Hausdurchsuchungen hätten Boris Becker „sehr belastet“, und er habe schließlich, wenn auch reichlich spät, die Steuerschuld bezahlt. So hätte sie auch schon bei nicht ganz so prominenten Angeklagten verfahren, sagt sie, um schon vorsorglich den Verdacht auszuräumen, sie sei vor dem Bekanntheitsgrad des Delinquenten in die Knie gegangen. Und noch etwas fand Richterin Knöringer ganz prima: „Boris Becker ist trotz allem nach Deutschland zurück gekommen.“ Der beinahe verlorene Sohn. Wenn man all dies berücksichtige, komme man um eine Bewährungsstrafe nicht herum. Noch während die Richterin redete, war der Pressesprecher von Boris Becker, Robert Lübenoff, aufgestanden und aus dem Saal gelaufen. Lübenoff, den sie in der Branche bisweilen auch Lügenoft nennen, hat sich in den Tagen davor so seine Gedanken gemacht, wie er mit einem Urteil, so oder so, medientechnisch umgehen soll. Und kam zu dem genialen Schluss, für beide Fälle – Haftstrafe und Bewährungsstrafe – eine „persönliche Erklärung“ seines Auftraggebers vorzubereiten. Also lief er jetzt hinaus, um aus seinem Auto die richtige Erklärung zu holen und sie – jetzt nur nicht den falschen Stapel erwischen! – schnell unters Volk zu bringen. „Ich bin frei – das ist das Wichtigste“, steht in Erklärung eins, und: „Das war mein wichtigster Sieg.“

Was auf der nicht verteilten Presseerklärung Nummer zwei stand? Herr Lübenoff verrät es nicht, aber von „meiner schwersten Niederlage im Leben“, wird da wohl die Rede gewesen sein und von der Unverhältnismäßigkeit, mit der die Steuerfahnder ihn jahrelang verfolgten.

Jetzt ist Schluss damit. Die Zukunft ruft. „Drei Jahre lang keine einschlägigen strafbaren Handlungen!“, hatte ihn die Richterin noch ermahnt, dann hat sich Becker von ihr mit Handschlag verabschiedet und vielleicht aus Unbedachtsamkeit „Auf Wiedersehen“ zu ihr gesagt.