Herkunftslinie mit Haken

Stanislaw Mucha trifft in „Absolut Warhola“ (So, 21.45 Uhr, 3sat) Warhols Verwandte. Die können zwar nicht viel mit dem „größten Sohn“ des Dorfes anfangen. Irgendwie stolz sind sie aber trotzdem

von HARALD FRICKE

Im Grenzgebiet zwischen Polen, Ukraine und der Slowakei, wusste man bis nach 1990 nichts über Andy Warhol und die Kunst des Westens. Heutzutage ist man in Medzilaborce und Miková allerdings stolz darauf, die Geburtsstätte der Pop-Art gewesen zu sein. Richtig begeistert ist das ansässige Bauernvolk von der Malerei aus Werbesymbolen und Oberflächen zwar nicht. Aber wenn solche Kunst den kulturellen Fortschritt Amerikas ausgemacht haben soll, dann trägt man diese Verantwortung doch gern. Zumindest in den Dörfern, in denen der polnische Regisseur Stanislaw Mucha für seinen Dokumentarfilm „Absolut Warhola“ gedreht hat.

Nun hat die Herkunftslinie des Pop einen Haken: Geboren wurde Andrew Warhola erst 1928, als seine Eltern längst in Pittsburgh, Pennsylvania, lebten. Insofern hat nie jemand Warhol getroffen – nicht die Familie und nicht der Museumsdirektor in Medzilaborce, wo ein Ausstellungshaus zu Ehren von Andy Warhol eingerichtet wurde.

Auch Mucha ist nur durch Zufall vor vielen Jahren in dieses Niemandsland gekommen, „um ein gutes Bier zu organisieren“. Damals schon wurden sich Märchen erzählt über den „größten Sohn“ des Dorfes. Was er malte, wusste keiner genau: Noch immer glauben einige Bewohner von Miková, dass Warhol Häuser angestrichen hat. Selbst die Verwandtschaft scheint nicht viel mit seiner Biografie anfangen zu können – vor allem bei seiner Homosexualität, da sei Gott vor!

Langsam fügt Mucha die Mythen mit der Realität zusammen, lässt sich vom Warhol-Vetter etwas über leckere Pilze, Ölquellen und Tschernobyl erzählen, oder zeigt eine hellblondierte Warhol-Nichte, die verträumt das Marilyn-Motiv auf Leinentücher stickt. Immer wieder verliert der in Krakau und an der Potsdamer Filmhochschule ausgebildete Regisseur dabei den Faden. Auch der aus Moskau angereiste Andy-Imitator verwirrt die Recherche nur noch mehr, wenn er vor gemieteten Panzern herumläuft, weil er glaubt, dass Performances zum Pop gehören. Dann ist „Absolut Warhola“ eine ziemlich nostalgische Reise in eine sehr abgeschiedene Provinz.

Ebenso schnell aber schnappt das Scharnier wieder zurück in die Gegenwart. Der Museumsdirektor in Medzilaborce muss ständig um die Existenz seiner kleinen Institution kämpfen. Die Mittel sind knapp, es regnet durch die Decke. Entmutigen lassen will sich davon niemand: Selbstbewusst werden zahllose Schätze aus dem Depot hervorgeholt, auf die sogar die Warhol-Stiftung in Pittsburg neidisch wäre. Wo sonst könnte man Warhols Taufkleidchen sehen? Um kunsthistorische Entdeckungen geht es Mucha trotzdem nicht. Eher schon versucht er mit „Absolut Warhola“ den Kult um die Ursprünge des Pop mit der Armut der Bevölkerung vor Ort gegenzulesen. Nebenbei zeigt der Film auch den rassistischen Alltag, der sich an Roma entlädt. Sie haben im Museum Hausverbot, weil sie zu dreckig und zu zerlumpt sind, wie der Direktor schlecht gelaunt erklärt. Dann nimmt er seine Gitarre und spielt eigene Songs, die nach Velvet Underground klingen.