Zwischenstopp in Severobaikalsk

Ein Held der Arbeit fährt Taxi

von DINAH MÜNCHOW
und STEPHAN LISKOWSKY

In Severobaikalsk am nördlichen Baikalsee ist die Zeit stehen geblieben. Es gibt hier keine hausgroßen, knallbunten Reklametafeln wie sonst. Die Straßen sind noch vom Subbotnik sauber, und die Milizionäre, so sagt man, sind nicht so korrupt – Freunde und Helfer eben. Ja, die Zeit ist hier stehen geblieben – irgendwann an einem Tag im Jahr 1991.

Die Stadt der Bahnbauer war damals etwa zwanzig Jahre alt, als die BAM-Eisenbahnlinie endlich fertig war – und als der Niedergang der Sowjetunion auch der Geschichte der sozialistischen Musterstadt irgendwie ein Ende setzte.

Alexander saß damals ratlos in seiner neuen Wohnung, er hatte die Arbeit verloren. Die Vergangenheit stand hinter ihm – als Jubiläumsband in der ebenfalls neuen Schrankwand: „Die Geschichte des BAM-Baus“. Darin ist der blonde Alexander mit dem Schnurrbart als Held der Arbeit abgebildet – neben einem Artikel über die Brigade, bei der er Vorarbeiter war. Sie hatten die Flächen eingeebnet, Steine weggebracht, Felsen gesprengt, damit die Schienen für die Zukunft gebaut werden konnten.

Als junger Mann war er hergekommen, voll Kraft und mit einer gehörigen Portion Idealismus. Jahrelang hatte er in Bauwaggons gelebt, später in Baracken, am Ende bekam er eine Wohnung. „Wir haben tagsüber geschuftet und abends bis in die Puppen gefeiert, da war was los hier, nur junge Leute“, erzählt er heute, noch immer begeistert.

Alexander sitzt hinter dem Steuer seines Taxis, und fährt uns an einer Promenade parallel zueinander ausgerichteter Neubaublocks entlang. Dahinter stehen noch die Baukräne, liegen Betonplatten, ragen halbfertige Gebäude in den Himmel. Alles ist verrostet und mit Kraut überwuchert, seit zehn Jahren bewegt sich hier nichts mehr. „Wir bauen die Zukunft, haben wir gesagt. Heute braucht die BAM eigentlich niemand mehr. Niemand investiert mehr, weder in die Wohnungen noch in die Erschließung der Rohstoffe entlang der Eisenbahnstrecke.“

Alexander zeigt uns die Siedlungen der so genannten Waggonschiki, ehemaliger Arbeiter der BAM, die noch immer in Bauwaggons leben, weil die versprochenen Wohnungen halbfertig irgendwo verrotten.

Alexander hatte Glück mit der Wohnung, er ist insgesamt zufrieden. Er liebt den Baikal, die Natur und seinen Job als Taxifahrer – vor allem wenn er Touristen ihre merkwürdigen Wünsche erfüllen kann. Im weit abgelegenen Fischerdorf Baikalskoje verrostete Kutter angucken und alte Holzhütten. So richtig nachvollziehen kann das hier keiner.

Mestnye duratzki, Dorftrottel, hatte man uns gesagt, leben dort. Als wir da sind, lacht Alexander unter seinem Schnurrbart hervor. Das nächste Mal, sagt er, sollen wir unbedingt mit ihm fischen gehen und anschließend feiern.