Neue ethnische Enklaven im Kosovo?

UN-Missionschef verspricht der serbischen Bevölkerung vor der heutigen Kommunalwahl eigene Gemeindeeinheiten

PRIŠTINA taz ■ Eigentlich sollte alles normal verlaufen. Die rund 1,32 Millionen Wähler sind von der UN-Mission im Kosovo (Unmik) aufgerufen, heute die Gemeindeparlamente neu zu besetzen und damit die Demokratisierung des Landes voranzubringen. Die politischen Parteien der Albaner führten Wahlkampf untereinander, und die Führer der serbischen Seite drohten mit Boykott. Wie zuvor entschlossen sie sich aber doch, in fünf Gemeinden mit serbischer Bevölkerungsmehrheit anzutreten.

Alles wäre so geblieben, hätte der Chef der UN-Mission im Kosovo, Michael Steiner, nicht am letzten Montag einen neuen Vorschlag über die Zukunft der Gemeinden gemacht und damit eine heftige Debatte ausgelöst. Um die serbische Seite zu überzeugen, ohne Einschränkungen an den Wahlen teilzunehmen, schlug er vor in Gemeinden mit einer serbischen Minderheit neue Gemeindeeinheiten zu schaffen. Danach soll die serbische Bevölkerung einer Gemeinde künftig das Recht haben, unter anderem Grund- und weiterführende Schulen zu betreiben, ein eigenes Gesundheitswesen zu gründen, eigene Dienstleistungsbetriebe zu eröffnen und Kultur- wie Sportveranstaltungen zu organisieren. Dazu sollen diese Gemeindeeinheiten mit einem eigenen Budget ausgestattet werden, auch wenn sie weiterhin gehalten sind, mit den Gesamtgemeinden zu kooperieren.

Was die Serben betrifft, war Steiners Vorschlag erfolgreich. Nun sind die mehr als 200.000 serbischen Wähler, auch jene 109.000 Wahlberechtigten, die nach dem Nato-Einmarsch 1999 Kosovo verließen, von den meisten serbischen Parteien aufgerufen, an den Wahlen teilzunehmen. Ob sie ihren Führern folgen werden, ist zwar fraglich, doch Steiner hofft, mit diesem Durchbruch eine Atmosphäre zu schaffen, die für die Flüchtlingsrückkehr günstig ist.

Auf der albanischen Seite fand der Vorschlag jedoch geteiltes Echo. Zwar reagierten die meisten Parteien, wie die UÇK-Nachfolgepartei PDK unter ihrem Vorsitzenden Hashim Thaci und die Rugova-Partei LDK, überraschend positiv auf den Vorschlag. Doch bei politisch einflussreichen Intellektuellen, Journalisten und auch Mitarbeitern der internationalen Organisationen löste er Bedenken und sogar Bestürzung aus.

„Damit werden die Gemeinden ethnisch strukturiert, ganz im Gegensatz zu dem Versprechen der internationalen Seite, eine multiethnische Gesellschaft aufzubauen“, erklärt zum Beispiel der Professor und Menschenrechtler Enver Hoxhaj. Mit dieser Konstruktion könnten die nationalistischen Kräfte jederzeit Konflikte provozieren, weshalb auch die UÇK-Nachfolgeparteien für den Vorschlag seien, meinen andere Kritiker. Für den Expremierminister der Kosovo-Albaner im Exil, Bujar Bukoshi, ist eine solche Konstruktion einzigartig auf der Welt. Gemeinden mit ethnisch definierten Untergemeinden kämen im Rechtssystem bisher nicht vor. „Außerdem ist dieser Vorschlag nur auf Serben bezogen. Dann müssten Roma, Türken, Goranj und andere Minderheiten die gleichen Rechte erhalten, die fordern sie aber gar nicht.“

Auch Mitglieder der internationalen Gemeinschaft, so in der Unmik wie in der OSZE, sehen in Steiners Vorschlag einen unbedachten Schnellschuss. Er würde ein Rattenschwanz von rechtlichen und politischen Problemen aufgeworfen. Es sei schon schwierig genug, die Gemeinden von unten nach oben aufzubauen und ihnen mehr Kompetenzen zu übertragen, erklären Mitarbeiter, die nicht genannt werden wollen.

„Wir müssen bei den Details sehr aufpassen“, sagt ein politischer Berater. In der Tat haben die Selbstverwaltungsorgane der Kommunen kaum Kompetenzen. Nach wie vor ist es nämlich die UN-Verwaltung, die letztlich die Entscheidungen vor Ort trifft, selbst die Gehälter der Angestellten und der Lehrer, von gerade einmal 180 Euro monatlich, werden durch die UN festgelegt. Weder die Regierung oder das Parlament können über die Steuereinnahmen verfügen. Die Steuern und andere Einnahmen gehen an den von der Unmik kontrollierten Finanzausschuss. Von dort, so Kritiker, würden die Gelder „wie in der kommunistischen Zeit“ an die Kommunen zurückverwiesen.

Nicht nur Bukoshi fürchtet, dass bei der Gründung ethnisch definierter Gemeindeeinheiten die ohnehin geringen Finanzmittel „politisch“ verteilt würden. Bisher habe die UN-Verwaltung Höhe und Verteilung des Budgets nicht einmal veröffentlicht. Immerhin ist es Steiner so gelungen, die serbische Ablehnungsfront gegenüber den Wahlen zu durchbrechen. Für den 1. November hat er zu Gesprächen geladen, bei denen sich alle Seiten zu seinen Vorschlägen äußern können. ERICH RATHFELDER