Königinnen hinter Gittern

Gefangene, wohin man sieht: Thomas Bischoff inszeniert „Maria Stuart“ am Deutschen Theater als klaustrophobisches Kammerspiel samt vaginaler Versuchsanordnung

Zunächst erlaubt die Drehbühne einen Blick hinter die Kulissen, wo Holzbalken schwere Wände aus Stahl und Eisen stützen. Schon vor Beginn des Spiels ahnt man angesichts dieser wuchtigen Konstruktion die Ausweglosigkeit derer, die in den Gefängnissen der Macht einsitzen. Unbeweglich stehen die beiden Königinnen Minuten später, als die Bühne ihre Vorderseite zeigt, im Halbdunkel des Raums, den sie in den nächsten zweieinhalb Stunden nicht verlassen werden: Thomas Bischoff hat Schillers „Maria Stuart“ am Deutschen Theater als klaustrophobisches Kammerspiel inszeniert.

Gefangene, wohin man sieht: Maria, die Königin von Schottland, wird vom englischen Hof des Hochverrats beschuldigt und ist ihrer Gegenspielerin Elisabeth ausgeliefert, die sich derweil von ihrem Amt in Haft genommen sieht: „Die Könige sind nur Sklaven ihres Standes.“ Paulet, Marias ritterlicher Wächter, ist an seine Pflicht gekettet wie ein Schwerverbrecher an die Kerkermauer, und der eitle Leicester und der schwärmerische Mortimer haben sich ihre eigenen Gefängnisse aus Begierde, Eifersucht und Hass gebaut.

Fast das ganze übrige Personal fehlt, der Text ist eingestrichen und umgestellt. Thomas Bischoff hat Schillers Trauerspiel das Pathos genommen. In seiner Inszenierung ist das Theater keine „moralische Anstalt“ zur „allgemeinen tiefen Rührung“. Bischoff überlässt die Akteure dem profanen Prozess des Politischen: Elisabeth und Maria sind Teil eines komplexen Handlungszusammenhanges, und selbst Mortimer, der sich nach dem Verrat durch Leicester bekanntlich heldenmütig selbst richtet, wird im Deutschen Theater einfach abgeknallt.

So eindeutig diese Reduktion des Stoffes auf eine Art politischen Krimi ist, so wenig erschließt sich, worum es Bischoff darüber hinaus nun eigentlich geht – selbst wenn man die zum Teil überdeutliche Zeichensprache der Inszenierung zu entziffern versucht. Wand und Boden von Uta Kalas Bühne sind samtig rot ausgekleidet und in der Mitte von einer tiefen Graben durchzogen, der in einem Dreieck ausläuft. Eine vaginale Versuchsanordnung, die zwei Frauen voneinander trennt: Auf der einen Seite befindet sich Elisabeth, die „wie ein Mann und ein König“ regiert, und auf der anderen Seite Maria, die von den Männern ständig zu Boden gestoßen wird und die die Briefe, die ihr Schicksal besiegeln, im Schoß verborgen hält. Dass so manches dieser Schreiben, denen die schriftverliebten Männer immer wieder verzweifelt nachjagen, im großen Bühnenschlitz auf Nimmerwiedersehen verschwinden, ist eine der zahlreichen Pointen dieser im zweiten Teil immer mehr zerfasernden Inszenierung, die man bemerkt, aber kaum versteht: Ist das Patriarchat doch nur eine verzweifelte Randerscheinungen des Mutterrechts?

Also hält man sich an die beiden beeindruckenden Schauspielerinnen, die diese interpretatorische Lücke jedoch auch nur zum Teil schließen können. Die junge Katharina Schmalenberg gibt Maria andeutungsweise als moderne Politikerin und lässt sie zuweilen in den dauerbeleidigten Tonfall Angela Merkels fallen – oder innerhalb weniger Sätze die zeitgenössischen Klischees weiblicher Selbstdarstellung durchlaufen: Auf sorgsam einstudierte Demutsgesten folgen Appelle an die sisterhood und selbstbewusste Zickigkeit.

Anika Mauer macht derweil aus Elisabeth eine moderne Führungskraft im höfischen Kostüm, die unangenehme Entscheidungen am liebsten an ihre Untergebenen delegiert. Beiden Frauen gemeinsam ist nur – und das unterscheidet sie deutlich von ihrer männlichen Umgebung –, dass sie von Anfang an wissen, worauf das traurige Spiel hinausläuft. „Ein Wort macht alles ungeschehen“, bittet Maria beiläufig, quasi der Form halber ihre Gegnerin Elisabeth um Gnade, und danach folgt ein langes Schweigen. In stillem Einverständnis stehen die beiden nebeneinander. Zwei schrecklich schöne, schrecklich mächtige Frauen, die lächeln. Und lächeln.

KOLJA MENSING

Nächste Vorstellung 2. 11., Deutsches Theater, Schumannstraße 13 a, Mitte