„Einseitige Maßnahmen sind vergeblich“

Der Politologe Peter Grottian erklärt, warum die Debatte um die Einsparungen im öffentlichen Dienst zur Zeit so verfahren ist: „Haushaltslöcher sind zu abstrakt, als dass man dafür Solidarität einfordern könnte.“ Nur wenn die Bundesebene eingebunden werde, habe der Solidarpakt noch eine Zukunft

Interview ROBIN ALEXANDER

taz: Professor Grottian, warum ist der Solidarpakt gescheitert?

Peter Grottian: Er war zu eng angelegt und damit von vornherein zum Scheitern verurteilt. Versäumt wurde, über andere Formen von Tarifauseinandersetzung nachzudenken. Die Gewerkschaften haben bisher nur ihre Lohnprozente im Kopf. Die öffentlichen Arbeitgeber denken allein an Einsparungen. Darum kann der Streit aber nicht allein gehen. Wir müssen einen Versuch machen, die Fragen von Lohnprozenten, Haushaltssanierung und neuen Arbeitsplätzen zu verbinden.

Sie wollen das Ganze auch noch mit einem weiteren Ziel, der Schaffung von Arbeitsplätzen, komplizieren?

Wir müssen eine öffentliche Drucksituation herstellen. Druck brauchen beide Seiten, damit sie sich bewegen können. Die Gewerkschaften sind bei dem Vorwurf, dass sie nicht solidarisch Arbeitsplätze schaffen, sehr empfindlich, auch die Kollegin Stumpenhusen.

Wie sollte ein neuer Anlauf für den Solidarpakt aussehen?

Der Grundfehler war bisher, Solidarität für etwas Abstraktes einzufordern: für das Haushaltsloch. Dann sagen die Mitarbeiter zu Recht: Warum sollen wir zahlen, wenn das Geld für die Bank versenkt wurde?

Wie könnte man diesem Argument entgehen?

Indem man Gerechtigkeit schafft. Erstens: Es gibt 400.000 Haushalte in Berlin, denen es blendend geht. Diese Leute müssten mit einer Art kommunaler Einkommenssteuer zur Kasse gebeten werden. Haushalte mit 3.000 oder 4.000 Euro Einkommen, zahlen 100 Euro im Monat mehr. Da kommen mehrere Milliarden Euro in die Kasse.

Zweitens: Wir müssen noch einmal über den Bankenskandal reden. Rot-Rot muss glaubwürdiger versuchen, den Schaden für Berlin zu mindern. So kann man dann drittens auch einen Beitrag vom öffentlichen Dienst verlangen und mit Bund und Ländern über eine zusätzliche Stützung der sonst fast auswegslosen Situation verhandeln.

Sehen Sie eine reale Chance für neue Solidarpaktverhandlungen?

Wenn Ver.di und der Senat etwas für Berlin tun wollen, sollten sie auf die Bundesebene einwirken. Dort muss es bei den Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst ein Aufbrechen geben. Dann kann es auch wieder Bewegung in Berlin geben.

Der Senat setzt auf Druck durch einseitige Maßnahmen.

Vergeblich. Ver.di wird man nicht dazu bringen, ihre harte Position zu ändern, wenn man nur auf Haushaltssanierung zielt. Das solidarische Argument den Erwerbslosen gegenüber muss für Ver.di zum Legitimationsproblem werden. Oder positiv gewendet: Die Gewerkschaft muss darstellen können, dass sie dazu beigetragen hat, in wichtigen öffentlichen Dienstleistungen wie Erziehung, Kita und Schule Einstellungen ermöglicht zu haben.

Die Leute, die heute in der Berliner Verwaltung überzählig sind, arbeiten nicht in Kitas und Schulen.

Ja. Der zentrale bürokratische Machtapparat lässt sich Kürzungen nicht gefallen. Ein Beispiel aus meinem Arbeitsbereich: Das Verhältnis der Kürzungen in den Instituten zur zentralen Universitätsverwaltung ist vollkommen überproportional. In meinem Institut wird es im Jahr 2003 58 Prozent weniger Hochschullehrer geben als im Jahr 1993. Eine solche Quote wird niemals auf die zentrale Univerwaltung angewendet. Rational ist das nicht, aber die Politiker legen sich nicht mir den zentralen bürokratischen Machtapparaten an, weil sie von ihnen abhängig sind. Nennen Sie mir doch einen Politiker in Berlin, der in seinem eigenen Bereich erheblich Stellen abbauen will! Zudem wird immer bei den unteren Einkommen abgebaut. Die schmeißt man als Erstes raus. An die Spitzenbeamten traut sich keiner ran – die würden bei 10 Prozent weniger Gehalt trotzdem den Neuwagen bestellen.

Warum sollten die Berliner Probleme auf der Bundesebene gelöst werden?

Die Probleme Berlins gibt es auch im Saarland, in Bremen, in Sachsen-Anhalt, in vielen Städten NRWs und in München.

Ihr Vorschlag für die nun beginnenden Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst war konkret: Die Beschäftigten verzichten auf Lohnsteigerungen, damit mit dem Geld Haushalte saniert, aber auch Stellen geschaffen werden.

Im Moment tun die Akteure bei den Tarifverhandlungen so, als wären nicht 4 Millionen Menschen erwerbslos in diesem Land. Solche Verhandlungen kommen irgendwann in eine Legitimitätskrise.

Ver.di fürchtet im Gegenteil, den Mitgliedern einen Verzicht nicht vermitteln zu könne.

Die Führung meint, die eigene Klientel würde eine solche Lösung nicht mittragen. Aber das stimmt nicht. Die Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes wären bereit, Einschränkungen hinzunehmen – für Kinderbetreuung und Schule, nicht nur für das Haushaltsloch. Die Funktionäre und die Arbeitgeber, die im Namen der Menschen verhandeln, verfügen über weniger Solidarität als die Menschen selbst. Das lässt sich auch am Wahnwitzgehalt des Ver.di-Vorsitzenden ablesen. Im Übrigen: Schon aus eigener Überlebensstrategie müssten die Gewerkschaften ein Interesse haben, für die jüngere Generation Arbeitsmöglichkeit zu schaffen.

Sie selbst sind mit schuld, dass sich niemand in Berlin bewegt. Ihre Initiative Bankenskandal hat erfolgreich den Eindruck erweckt, für Berlins Finanzproblemen sei allein die Bankpleite verantwortlich. Sie haben so ein Klima erzeugt, in dem Veränderungen nicht mehr möglich sind.

Das ist leider etwas dran. Aber man kann dieses Bewusstsein auch produktiv machen. Wenn man Bank, kommunale Einkommenssteuer und Solidarpakt zusammen löst, könnte es eine ganz neue Vorstellung von Gerechtigkeit in Berlin geben.