nebensachen aus brüssel
: Keine Demos, kein Stromausfall, keine Rauferei am Kopierer

EU-Gipfel sind auch nicht mehr das, was sie mal waren

Vier Mal im Jahr hauen die EU-Chefs die gordischen Knoten durch, damit es voran geht mit Europa. Bei den Gipfeltreffen dürfen wir EU-Korrespondenten uns ein bisschen fühlen wie die Kollegen an der Front: Drei Tage alte T-Shirts und offene Hemdkragen, Zigarettenstummel im Kaffeesatz und grimmige Mienen: Ganz nah dran an den Konferenztüren, hinter denen die Fetzen fliegen, und doch abgeschnitten von jeder Information – im Zentrum des Orkans ist es ja bekanntlich am stillsten.

Wir lassen die Flurgerüchte so lange von Mund zu Mund gehen, bis wir unsere eigenen Spekulationen nicht wiedererkennen und sie als Nachrichten ins Laptop tippen. Wir bringen Stunden mit Warten zu und sind doch immer beschäftigt. Wir lauern neben den Kopiergeräten auf Beute aus den Delegationszimmern – und wenn sich dann, mitten in der Nacht oder im Morgengrauen, die Konferenztüren öffnen, blicken wir mit rot geränderten Augen den Mächtigen in die übermüdeten Gesichter und fühlen uns ganz nah dran, da wo Politik gemacht wird.

Noch Jahre später erzählen wir uns auf anderen Gipfeln aus Langeweile die alten Anekdoten, wie richtige Kriegsberichterstatter das tun: Als damals in Berlin im Pressezentrum der Strom ausfiel, weißte noch? Als es immer kälter wurde und nach und nach auch dunkel, weil die Laptops einer nach dem anderen den Geist aufgaben. Oder in Nizza die große Demo, die Luft war dick vor Tränengas, kaum ein Durchkommen zum Kongresszentrum, aber uns hält so schnell keiner auf …

Das waren Zeiten. Wehmütig werden wir den Jungen davon erzählen. Denn dieses Mal sind wir alle zu Hause geblieben. Die Chefs haben sich einfach in Brüssel getroffen, im Ministerratsgebäude, wo sonst auch immer alle tagen. Es war weniger los, als wenn Künast kommt oder Schily. Demos – Fehlanzeige. Keine wütenden Bauern, die frisch gepflanzte Alleebäume rausreißen, keine Kurden und Exiliraker, nicht einmal die kleinste Antiglobalisierungsaktion – Brüssel nimmt einfach niemand für voll.

Statt landestypischer Büffets im Pressezentrum, die man sehnsüchtig anschaut, aber vor lauter Jagdfieber nicht essen kann, gab es im Keller eine Kantine. Es war auch Zeit genug dort hinzugehen, denn die dänische Präsidentschaft legte sämtliche Entwürfe, sobald die Delegationen sie bekamen, in säuberlichen Stapeln auch im Pressezentrum aus. Es hat gar keinen richtigen Spaß gebracht. Jeder konnte alles in Ruhe durchlesen, und am Kopierer gab es keine einzige Rauferei.

Unvorstellbar, wenn die dänische Gipfelregie Schule machen würde: Ein vorher festgelegtes Arbeitsprogramm, das dann tatsächlich alle gemeinsam abarbeiten. Ein sorgfältig vorbereitetes Abschlussdokument, das nur noch ausgefeilt werden muss. Schröder könnte zum Bericht aus Berlin schon wieder bei Doris sein. Und wir EU-Veteranen müssten unseren Kummer an der nächstbesten Hotelbar ertränken. Gut, dass es die ganzen Gipfelanekdoten gibt, die wir uns dabei erzählen könnten.

DANIELA WEINGÄRTNER