„Es gibt Zukunft ohne Fischer“

Gerade wenn die Grünen von der Fixierung auf den heimlichen Vorsitzenden loswollen, müssen sie von den Resten der Basisdemokratie lassen, glaubt Parteienforscher Raschke

taz: Herr Raschke, nach dem Bremer Parteitag sagten Sie, die Niederlage des Spitzenteams habe die grüne Machtarchitektur verändert. Jetzt arbeiten Fritz Kuhn und Claudia Roth an einem Comeback. Wie wacklig ist das grüne Haus im Moment?

Joachim Raschke: Natürlich gehen die Grünen mit dem Versuch, die Abstimmung über eine Trennung von Amt und Mandat zu wiederholen, ein gewisses Risiko ein. Doch wenn die wirkliche Basis mit einer Urabstimmung die Trennung aufhebt – und davon gehe ich aus –, dann hat die Partei sich nach mehr als zehn Jahren Diskussion endlich Strukturen gegeben, die tragfähig sind. Das grüne Haus stünde in Zukunft stabiler da als zuvor.

Seit Grün regiert, konzentriert sich die innerparteiliche Macht in immer weniger Händen. Ist da eine Barriere gegen Machtballung nicht sogar wichtiger als zu Oppositionszeiten?

Nein, ich sehe das genau umgekehrt. Für erfolgreiches Regieren brauchen die Grünen eine Art Verbunddemokratie: Regierungsmannschaft, Partei und Fraktion müssen miteinander verschränkt sein. Nicht diese Verbindung ist schlecht, wie die Verfechter einer Trennung von Amt und Mandat behaupten, sondern Verbindungen, die sich innerparteilicher Kontrolle entziehen. Auf diesem Feld sind die Grünen die Nachzügler.

Es fehlt an Transparenz?

Natürlich. Ein Grundübel der Grünen ist doch immer noch die Herrschaft des Informellen. Mit Joschka Fischer haben sie zum Beispiel einen De-facto-Vorsitzenden, können ihn aber nicht wählen. Umgekehrt werden die gewählten Vorsitzenden Opfer einer Armutsrotation durch unzumutbare Selbstausbeutung. Wer so schlecht bezahlt wird, sucht sich rasch einen anderen Job. Wenn die Grünen die Trennung von Amt und Mandat aufheben, machen sie ihre Strukturen effizienter – und Machtverhältnisse transparenter.

Wirkliche Transparenz würde aber vom heimlichen Vorsitzenden erfordern, für den Vorsitz zu kandidieren.

Fischer hätte ohne Zweifel Potenziale als Parteivorsitzender. Aber dazu gehört nicht nur die eine oder andere perspektivisch interessante Gelegenheitsrede. Dazu müsste er schon langfristige Projekte für eine grüne Zukunft benennen und verfolgen.

Also stärkt die Satzungsänderung doch nur seine heimliche Macht?

Nein, die geplante Satzungsreform weist über Personen hinaus. Die Partei muss sich jetzt auf die Zeit nach Fischer vorbereiten. Weil Führungsgestalten von seinem Format nicht in Sicht sind, wird es eine demokratisch-kollektive Führung geben. Dafür sind belastbare Strukturen nötig.

Ist das der Abschied vom grünen Traum, Macht anders organisieren zu können?

Von den grünen Grundwerten hat sich die Basisdemokratie am wenigsten bewährt. Das grüne Experiment ist an diesem Punkt gescheitert. Basisdemokratie ist eine Fehlkonstruktion, denn mit einem Fischer an Bord schafft sie eine Kluft zwischen informell-autokratischen und formell-demokratischen Strukturen.

Was brauchen die Grünen?

Die Grünen brauchen ein bisschen ganz normale Demokratie. Jenseits realitätsunverträglicher Basisdemokratie und demokratieunverträglichem Bonapartismus à la Joschka Fischer.

Bei den Grünen weise nichts mehr über Fischer hinaus, klagt ein Biograf. Ist aus der Ein-Generationen-Partei eine Ein-Mann-Partei geworden?

Nein, die Grünen haben eine Zukunft auch ohne Fischer. Das hat schon der Wahlsieg gezeigt, der meiner Überzeugung nach kein Fischer-Sieg war. Es war ein Wahlsieg der Grünen als Kollektiv – mit ihren spezifischen Themen: der Ökologie- und der Friedensfrage. INTERVIEW: PATRIK SCHWARZ