Liebe in Schleife

Karen Duve las im Ambiente aus „Dies ist kein Liebeslied“

„Ich überschlage das ganze Positive und komme gleich zum schrecklichen Ende“

Ist das Pop? Nur weil drinnen seitenlang Mix-Tapes zitiert und analysiert werden? Draußen steht jedenfalls drauf „Dies ist kein Liebeslied“. Wenig verwunderlich, schließlich ist ein Buch ein Buch und kann doch kaum ein Lied sein.

Der Titel stamme, sagt Karen Duve, 1961 in Hamburg geboren und mit ihrer englischen Bulldogge in Brunsbüttel lebend, von der Band „P.I.L.“ Die waren in den 80ern ziemlich groß. Ausgeschrieben heißt das „Public Image Limited“. Das passt gut. Zu Anne, der Protagonistin aus Duves neuem Roman. Die ist in der Rahmenhandlung per Flugzeug unterwegs nach London. Zum einzigen Mann, den sie je geliebt hat. Ob der von der bevorstehenden Wiederbegegnung weiß, bleibt zunächst unklar.

Duve überwindet mühelos und furios die Zeiten. Von Annes Kindheit bis in die Gegenwart des Textes. Zwei Seiten Aufzählung genügen Duve, der Protagonistin Biografie mit kulturellen und politischen Ereignissen jener Zeit zu verlinken, die man gemeinhin „die 80er“ nennt. Wie sie mit sieben Jahren beschließt, nie mehr lieben zu wollen, was mehrmals misslingt. Über Tschernobyl, Falkland und „Alle Leute, die ich kannte, tauschten ihre Digitaluhren wieder gegen normale Uhren mit Zeiger und Zifferblatt“. Bis zum fatalistischen „und ich ging ins Reisebüro und kaufte mir ein Flugticket nach London, wie sich andere Leute einen Strick kaufen.“

Nach zwei Seiten oder wenigen Minuten Vorlesezeit ist der Rahmen abgesteckt. Das wird kaum gut ausgehen. Und Karen Duve tut auch nichts, um das Gegenteil nahe zu legen: Sie beginnt im Roman zu springen, der aus lauter Rückblenden in Annes eher desolates Leben besteht. „Ich überschlage das ganze Positive“, lächelt sie und macht eine souverän gesetzte Pause, „und komme gleich zum schrecklichen Ende“.

Unterhaltsam liest sie aus jenem Buch, das kein „Liebeslied“ sein will. Nicht minder unterhaltsam die Souveränität, mit der sie ihr Publikum bändigt. Dieser Roman ist ein beinahe kulturwissenschaftliches Unterfangen. Wie blickt Frau auf ihren Körper und warum? Was macht Anne bulimisch und der Liebe abhold, von der sie doch nicht lassen kann. Und wie schreibt man so was auf – spannend, kurzweilig, böse und auch überraschend liebevoll?

Indem man nicht mitleidig und nölend wird, wenn man dieser durchaus paradigmatisch gedachten Hauptfigur eine Stimme schenkt. Indem man Zweifel und Widersprüche belässt, wo man selbst keine Antwort weiß. So wie Duve, als sie gefragt wird, wie denn Annes Selbstzweifel begründet ist, meint, eine eindeutige, alleinige Begründung könne und wolle sie nicht geben. „Und die Schlager handelten weiterhin von Liebe“. Dagegen ist einfach kein Kraut gewachsen.

Tim Schomacker

Die nächste Lesung des Literatour Nord-Wettbewerbs ist am Sonntag, 10. November, um 20 Uhr im Ambiente: Steffen Kopetzky liest aus seinem Roman „Grand Tour oder die Nacht der großen Complication“