Neues Modell: eins plus x

Die Neustrukturierung der Bremer Stadtbibliothek wird noch mal völlig überdacht. Das über Jahre favorisierte Konzept einer Zentralbibliothek mit vier regionalen Filialen steht vor dem Aus

Alles auf null: Das sollte der Senat eigentlich heute über die Stadtbibliothek beschließen. Jedenfalls, wenn es nach Kultursenator Kuno Böse (CDU) gegangen wäre. Seine Vorlage wurde allerdings gestern in der Staatsräterunde zerfetzt und danach zurückgezogen. „Zu dünn“ sei das Papier, inhaltlich wenig konkret, so die einhellige Meinung. Dafür enthalte es einen reichlich ehrgeizigen Zeitplan.

Immerhin geht es um den Abschied vom zentralen Dogma in der Entwicklung der Bremer Stadtbibliothek. Seit zwölf Jahren werden sukzessive Büchereien geschlossen, meist gegen den wütenden Protest von AnwohnerInnen. Das Ziel hieß „Eins plus vier“: eine technisch hochmodern ausgestattete Zentralbibliothek und vier ebenfalls leistungsfähige Regionalbibliotheken mit Internet-Terminals und breitem Präsenzbestand; alle anderen müssten schließen.

In den Stadtteilen wird vor diesem Rückzug aus der Fläche gewarnt. Gerade nach dem Pisa-Desaster müsse der Staat weiter niedrigschwellige „Leseförderungsangebote“ machen, sekundiert die SPD-Kulturpolitikerin Carmen Emigholz. Das sei auch mit geringem technischen und personellen Aufwand dezentral möglich. Wer Spezialliteratur oder High-Tech-Angebote brauche könne ruhig auch mal in die Zentrale kommen. Aber der Senat hatte sich längst auf die 1+4-Variante festgelegt und die Stadtbibliothek mit der konkreten Ausarbeitung beauftragt. Alles schien geritzt.

Aber die Gegner der Bibliothekskonzentration hatten noch ein As im Ärmel: Die Kulturmanagement Bremen (kmb), mit der Vergabe der Mittel aus dem Kulturetat betraute GmbH, solle das Konzept der Bibliothek überprüfen, forderten sie und setzten sich durch. Nebenbei, so schrieben sie der kmb listig in den Auftrag, sollten auch alternative Modelle für „Satelliten“ der Zentrale geprüft werden.

Das kmb-Urteil über das Bibliothekskonzept fiel wenig schmeichelhaft aus: „Nicht hinreichend nachvollziehbar“ seien die Planungen der Stadtbibliothek. „Insbesondere wurden Personal- und Leistungsplanung nicht hinreichend dargestellt“, heißt es im Fazit. Von „Auffälligkeiten im Verhältnis von Ressourceneinsatz und Leistungen“ im Verhältnis zu anderen Bibliotheken spricht kmb-Chef Volker Heller. Was für den Senator noch schwerer wiegt: Das Konzept ist zu teuer. Jährlich würde es rund 1,5 Millionen Euro mehr kosten als die Fortschreibung des Status Quo. Da die Betriebskosten im Kulturetat auf dem Stand des Jahres 2000 „gedeckelt“ sind, drohten spätestens 2005 „erhebliche negative Betriebsergebnisse“, so Heller.

Deshalb soll die Bibliothek ihr Konzept „mit Unterstützung der kmb“ überarbeiten. Dabei sollten laut Senatsvorlage „insbesondere folgende Standort-Szenarien geprüft werden“: Zentralbibliothek a) mit einem „hochmodernen Bibliotheksstandort in Bremen Nord“ und einer „adäquaten Anzahl“ von Satelliten oder b) mit „Standorten in den Regionen“ als „Variante des 1+4-Konzepts“ oder „c) Ein Mischmodell aus a) und b)“. Damit wäre das 1+4-Konzept faktisch beerdigt, die Debatte neu eröffnet. Allerdings nur bis Ende März, dann soll entschieden werden.

„Viel zu wenig Zeit“, kritisiert Emigholz. Auch die Staatsräte sahen das so. Nun soll zumindest ein Expertenhearing am 6. November abgewartet werden, mit dessen Ergebnissen die nächste Senatsvorlage angedickt werden kann. Danach kommen die Stadtteilbeiräte zu Wort – ein weiterer Verfahrensschritt, der auf die Erhaltung von mehr als fünf Standorten hindeutet. Denn die Mehrheit der Beiräte kann sich ausrechnen, dass ihr Ortsteil bei der 1+4-Lösung leer ausgehen würde, und wird sich daher vermutlich dagegen aussprechen. Emigholz hofft, dass dann nicht gleich entschieden wird: Schließlich soll das neue Konzept erst ab 2005 umgesetzt werden. Das böte die Möglichkeit, Erfahrungen mit der Nutzung der neuen Zentralbibliothek zumindest ansatzweise zu evaluieren und in die Regionalplanung einfließen zu lassen.

Jan Kahlcke