Der neue Bildungsschock

Ein Jahr nach der Pisa-Studie legen die Wissenschaftler nach: Deutschland ist das Land mit den meisten Schulversagern und den niedrigsten Bildungsausgaben. Dem hohen Verdienst der Lehrer steht ein relativ geringes Arbeitspensum gegenüber

von CHRISTIAN FÜLLER

Das Zittern hat sich nur ein bisschen gelohnt. Bevor Andreas Schleicher gestern Abend in Berlin eintraf, war die Furcht groß. Würde der Koordinator der OECD-Bildungsstudien wieder ein Schuldesaster für Deutschland verkünden? Würde es wieder so schlimm ausfallen wie bei der Pisa-Studie? Bei dem internationalen Schülervergleich war ein beachtlicher Teil deutscher Schüler in die Nähe des Analphabetentums gerückt worden, und Andreas Schleicher ist der Erfinder von Pisa.

Immerhin, auf einem Gebiet wollte Schleicher gestern – nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe – so etwas wie Entwarnung geben: Die Zahl der Studienanfänger zwischen Kiel und Garmisch steigt wieder an. Das hebt zwar den Makel nicht auf, dass die Bundesrepublik mit einer Anfängerquote von rund 30 Prozent eines Jahrgangs immer noch weit unter dem OECD-Schnitt von 45 Prozent liegt. Aber eine Trendwende ist erkennbar.

Ansonsten aber hatte Schleicher nach Informationen der taz wieder reihenweise Hiobsbotschaften im Koffer. Deutschland bleibt das Land der Schulen, die die meisten Schulversager der entwickelten Länder produzieren. 40 Prozent der Schüler bleiben sitzen. Die Bunderepublik ist auch weiterhin der Staat, der vergleichsweise geringe Bildungsausgaben hat – und diese obendrein unsinnig verteilt: Kindergärten und Grundschulen werden kurz gehalten, in die Oberstufen der Gymnasien wird das Geld geradezu hineingepumpt.

Für die Bildungsszene sind diese Ergebnisse des OECD-Vergleichs „Bildung auf einen Blick“, die erst heute offiziell freigeben werden, keine Überraschung. Schon im vergangenen Jahr standen die Deutschen in einem Vergleich der wichtigsten Indikatoren wie Bildungsstand, Akademikerquote und Schulausgaben unter den 29 OECD-Staaten nicht gerade glänzend da. Nicht nur bei der Stiftung Lesen in Mainz fragt man sich daher: Wird es denn gar nicht besser? Was hat das Land aus dem Pisa-Schock eigentlich gelernt?

Der Sprecher der Mainzer Stiftung Lesen, Klaus Ring, die das Lesevergnügen und -verständnis Jugendlicher fördert, stellte zerknirscht fest, „dass wir immer noch die drittletzten in der OECD bei den öffentlichen Bildungsausgaben sind“. Besonders ärgerlich findet Ring aber den Rückstand bei den Investitionen in die frühkindliche und elementare Bildung. „Das kann nicht ohne Folgen bleiben“, sagte Ring mit Blick auf neueste Untersuchungen des Sprachforschers Manfred Heinemann von der Universität Mainz. Heinemann leitet die „Klinik für Kommunikationsstörungen“ und hat in einer Feldstudie herausgefunden, dass rund 23 Prozent der dreieinhalb bis vierjährigen Kinder starke Verzögerungen in der Sprachentwicklung aufweisen.

Klaus Ring, der schon seit Jahren Forschungen Heinemanns über die Stiftung Lesen bekannt macht, fordert ein Umsteuern bei den Bildungsausgaben Richtung Kindergärten. Denn: „Es geht schon bei kleinen Kindern um Sprachentwicklung als solche – als Grundlage für die Intelligenz und die Persönlichkeit des Kindes.“

Andreas Schleicher hatte indes gestern Ergebnisse, die die Bildungsdiskussion weg von den Schülern lenken dürften. Wie bereits vorab bekannt wurde, stimmt so manches Vorurteil gegenüber Lehrern. Sie verdienen in Deutschland ziemlich viel – im Primarbereich 31.000 Dollar im Jahr, der OECD-Schnitt liegt aber nur bei 21.000 Dollar. Dem hohen Verdienst wiederum steht ein vergleichsweise geringes Arbeitspensum gegenüber. Vor allem die Oberstufenlehrer haben hierzulande deutlich weniger zeitlichen Aufwand als die anderer Staaten.

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