Es tickt im Steuerpaket

Unmut der Genossen, Unmut der Grünen, Unmut der Industrie – aber gespart werden muss trotzdem

Für den Wirrwarr entschuldigt sich eine Abgeordnete: „Das ist durchgerutscht“Werden 700.000 Autos weniger verkauft? Lobbyisten streuen die abenteuerlichsten Zahlen.

von HANNES KOCH
und JENS KÖNIG

Es ist die große Zeit der Lobbytruppen. Die Interessenverbände der Wirtschaft sind in diesen Tagen im Wesentlichen damit beschäftigt, über möglichst alle Kanäle in Berlin vorstellig zu werden – per Fax, Brief, E-Mail, indem sie andere vorschicken oder im persönlichen Gespräch. Da droht der Verband der Automobilindustrie (VdA) in einem Brief ans Kanzleramt mit dem Quasizusammenbruch der Branche. Die Autokonzerne von BMW über DaimlerChrysler bis zu VW befürchten „erhebliche Benachteiligungen“. Denn Rot-Grün will mehr Steuern auf privat genutzte Dienstwagen kassieren. Für seine Großraumlimousine, die ihm gratis zur Verfügung steht, würde ein Manager dann 200 Euro im Monat ans Finanzamt überweisen müssen statt 120 nach der heutigen Regelung. Die abenteuerlichsten Zahlen kursieren: Bis zu 70.000 Wagen würden dadurch im Jahr weniger verkauft.

Der Koalitionsvertrag ist kaum beschlossen, schon muss die Koalition verhindern, dass ihr die Vereinbarung um die Ohren fliegt. Es hagelt Kritik, auch aus den eigenen Reihen. Natürlich melden sich alle, denen es ans Portemonnaie geht – von den Blumenverkäufern, denen die Umsatzsteuer erhöht wird, über die Zahntechniker bis zu den Bauern. „Massenweise Schreiben“ beklagt eine Bundestagsabgeordnete der Regierungsparteien: „Der Druck ist gnadenlos.“ Das geht allen Abgeordneten so, die irgendetwas mit Wirtschaft oder Finanzen zu tun haben. Nur darüber, ob es so schlimm ist wie 1998, herrscht Uneinigkeit. Manche meinen, der Sturm angesichts der Lafontaine’schen Reformen habe noch heftiger gewütet.

Nicht nur das Donnerwetter der Verbände bewirkt, dass Rot-Grün gerade ein ziemliches Durcheinander in Finanzdingen anrichtet. Eine gewisse Rolle spielt auch, dass den Koalitionären erst jetzt klar wird, was sie eigentlich beschlossen haben. Bei den Spenden an gemeinützige Organisationen ist die Verquickung der beiden Missstände schön zu beobachten.

Erst wollte Rot-Grün einschränken, dass Kapitalgesellschaften ihre Spenden an kulturelle und soziale Organisationen von der Steuer abziehen. Dann machten unter anderem die Wirtschaftsverbände die Regierung darauf aufmerksam, dass gerade die viel beschworene Zivilgesellschaft, damit auch rot-grüne Klientel, darunter leiden würde. Schließlich kassierte Bundeskanzler Gerhard Schröder die Maßnahme ganz offiziell – übrigens ohne die Grünen vorher gefragt zu haben.

Für den Wirrwarr entschuldigt sich eine maßgebliche Abgeordnete der Koalition so: „Das ist durchgerutscht.“ Am Ende der Koalitionsverhandlungen vor zwei Woche sei die so genannte Giftliste von Bundesfinanzminister Hans Eichel im Stundentakt verändert worden – ohne dass die Verhandler die Gelegenheit hatten, sie im Detail zu studieren. Die über sieben Milliarden Euro Einsparungen waren zum gewissen Teil der politischen Willensbildung gar nicht zugänglich, sondern nur das Gedankenprodukt der Fachleute im Finanzministerium. Und auf denen lastete der Druck, nur irgendwie und sehr schnell genug Geld zusammenzukratzen. An manchen Punkten wird den Politikern jetzt erst klar, welche Wirkung ihre Vereinbarung auslösen könnte. So rebellierten vor allem Grüne gegen den Spendenbeschluss.

Aber auch in der großen Regierungspartei selbst nörgelten sie in den vergangenen Tagen am Koalitionsvertrag herum. Genossen aus dem linken Lager, wie etwa der stellvertretende Chef der SPD-Bundestagsfraktion, Gernot Erler, bemängelten, dass die zweite rot-grüne Regierung, die ja immerhin Geschichte schreiben will, bislang jeden Enthusiasmus vermissen lasse. „Epochen muss man begründen können“, so Erler. „Das ist mit diesen 90 Seiten Koalitionsvertrag nicht getan.“ Andere Sozialdemokraten, der niedersächsische Ministerpräsident Sigmar Gabriel zum Beispiel oder der neue Infrastrukturminister Manfred Stolpe, kritisierten einzelne Positionen des rot-grünen Vertragswerkes. Vor allem ein Punkt ruft den Unmut der Genossen hervor: die drastische Kürzung der Eigenheimzulage. Sie soll bis 2006 um rund 25 Prozent gesenkt und für Kinderlose ganz abgeschafft werden. „Das trifft niedersächsische Familien. Und deshalb sind wir dagegen“, sagt Gabriel selbstbewusst. Er erinnert mit seinen gezielten Vorstößen aus Hannover gegen die Bundespartei immer mehr an den frühen Gerhard Schröder. Außerdem muss er im Februar 2003 in Niedersachsen schon wieder eine Wahl gewinnen.

Noch bevor jedoch die ersten Sozialdemokraten glaubten, sie könnten mit ihrer Kritik bei der Regierung Wirkung erzielen, setzte der Kanzler und Parteivorsitzende in der SPD-Präsidiumssitzung am Montag eine klare Prämisse: Das Einlenken bei der Absetzbarkeit von Firmenspenden war eine Ausnahme, ab jetzt wird die Bundesregierung und damit auch die SPD keine weiteren Abstriche am Koalitionsvertrag mehr machen. Gerhard Schröder musste einzelne Kritiker aus den eigenen Reihen nicht zur Ordnung rufen, seine Ansage war auch so deutlich genug. „Der Koalitionsvertrag ist ein ausgewogener, mutiger Kompromiss“, ließ Schröder seinen Generalsekretär Olaf Scholz später vor der Presse sagen. Scholz bezog das ausdrücklich auch auf die Änderungen bei der Eigenheimzulage, die künftig Familien mit Kindern zugute kommen soll. Sie werde umgesetzt. Die Zulage sei schließlich eine der größten Subventionen, die es in der Bundesrepublik gebe, schob Scholz hinterher, und sie sei „nicht immer zielführend“ gewesen.

Der neue SPD-Generalsekretär tat damit genau das, was Schröder von ihm erwartet: Er verkaufte die Regierungspolitik als die einzig richtige, und das auch noch mit einem Lächeln auf den Lippen. Seine Partei betrachte die Steuerdiskussion „ganz entspannt“, sagte Scholz. Die Sozialdemokraten hätten genau gewusst, welches Echo sie mit ihren Vorschlägen zum Abbau von Steuersubventionen bei einzelnen Interessengruppen auslösen würden. „Wir wissen, wie die Welt ist“, sagte Scholz – und lachte schon wieder. Und dann kam von ihm noch eine Durchhalteparole: „Wir haben uns vorgenommen, den Mut zu Reformen, auch wenn sie ungemütlich sind, beizubehalten.“

Auch die grüne Parteichefin Claudia Roth sagte gestern, sie sehe „keinen Sinn darin, das Koalitionspaket wieder aufzuschnüren“. Finanzexpertin Christine Scheel assistierte: Es gehe jetzt nicht mehr um das Ob, sondern das Wie der konkreten Umsetzung. Dabei gibt es allerdings eine erhebliche Bandbreite, die auch den Lobbyverbänden jede Menge Ansatzpunkte für ihre Intervention gibt. Beispiel Aktienbesteuerung: Es klingt konsequent, wenn Rot-Grün sämtliche Gewinne aus Aktienverkäufen der Steuer unterwerfen will. Aber mit welcher Rückwirkungsfrist, welcher Höhe des Steuersatzes, für welche Gruppen der Bevölkerung? Man wird sehen, was von der Koalitionsvereinbarung übrig bleibt.