auf augenhöhe
: Wowereits Berlin

Kuss der Macht

Klaus Wowereit, der Schrecken des Beamtentums, ist Marxist. Ein ganz gewiefter: Am Montagabend lud der Regierende Bürgermeister „zu einer musikalischen Gala“ anlässlich des Endes seiner Bundesratspräsidentschaft. Jeder Ministerpräsident gibt – nachdem er ein paar Monate der zweite Mann im Staat war – anschließend so eine Sause für Mitarbeiter des Bundesrats, politische Freunde und Feinde. Ole von Beust lud zuletzt zum Hafenfest. Bei Kurt Beck wurde es pfälzisch.

Anders Wowereit. Der bat in ein schummriges Theaterchen in einem Seitenflügel des Friedrichstadtpalast. „Hier ging es früher erotisch zu“, erzählt Wowereit auf der Bühne, und der CDU-Bundestagsabgeordnete Günter Nooke ruft den Namen des Etablissements: „Die kleine Revue!“ „Woher weiß der Bärtige, wo die SED-Bonzen die Puppen tanzen ließen?“, tuschelt es im Parkett. „War der Nooke nicht im Widerstand?“

Jahrelang war der Puff geschlossen, nächste Woche eröffnet darin der Quatsch Comedy Club von Pro7. Die Fernsehleute haben versucht, das realsozialistisch Ambiente zu erhalten und sogar einen extra scheußlichen Teppich verlegen lassen. „Den gibt es nicht einmal als Zonen-Ware bei Frank Steffel. So etwas Hässliches muss man heutzutage aus Rumänien importieren“, lobt eine Dame, die sich mit Teppichen und der CDU gut auszukennen scheint.

Von beidem nichts, aber viel von einer guten Show versteht Gayle Tufts. Die gewichtige Wahlberlinerin aus den USA singt über Kiez und Hollywood. Und beides nimmt man ihr ab. Davon träumt auch der Regierende, der bald zu einer Los-Angeles-Reise aufbricht und Stammgast bei Tufts Premieren in der Bar jeder Vernunft ist. Die Dame im Durchsichtigen singt, sie sei verliebt in Joschka Fischer, schätze aber auch Wowereit, den sie „the nicest mayor“ und „la wowette“ nennt. La Wowette lacht. Der Regierende bestimmt sogar den Rahmen, in dem Witze über ihn erlaubt sind. Der große italienische Marxist Antonio Gramsci hätte das „kulturelle Hegemonie“ genannte, die Voraussetzung für Herrschaft in der modernen Gesellschaft. Es geht um Deutungshoheit, der kein Gegner entkommen kann. Konkret sieht das so aus: Hatte Wowereit bei der wichtigsten Aktion seiner Bundesratspräsidentschaft Recht?, überlegt die politische Gegnerin Gesine Lötzsch von der PDS: „Durfte er braune Schuhe zum schwarzen Anzug tragen, als er George W. Bush begrüßte?“ Ratlos meint die Sozialistin schließlich: „André Schmitz, der Chef der Senatskanzlei, hat gesagt, das trägt man jetzt so.“

Sichtbarsten Zeichen der politischen Herrschaft Wowereits ist der Kuss. Er küsst die Künstlerin, ihren Pianisten und ihre Backgroundsänger. Auf Kurt Becks Pfälzer Abend wäre das schrecklich unpassend, nicht so in Wowereits Berlin. Der Kuss ist das Zeichen derer, die dazugehören. Da ist Wowereit nicht kleinlich: Die CDU-Generalsekretärin Verena Butalikakis – gleich mit Mann und Sohn erschienen –wird geküsst, gar geherzt und geduzt. Allein der CDU-Vorsitzende Christoph Stölzl erkennt die Gefahr und flieht schnell, als der gemütliche Teil des Abends an der Bar beginnt.

ROBIN ALEXANDER