Arafat stellt sein neues Kabinett vor

In der palästinensischen Regierung sitzen nur vier neue Minister. Die Reformer unter den Abgeordneten sind enttäuscht

JERUSALEM taz ■ Mit über einem Monat Verspätung hat Palästinenserpräsident Jassir Arafat gestern in Ramallah sein neues Kabinett vorgestellt. Nur noch 19 Minister statt bisher 21 sollen in der Regierung sitzen. Personelle Veränderungen gab es im Innen- und Justizministerium sowie in den Bereichen Verkehr und Gesundheit. Bis zum späten Nachmittag dauerten die überwiegend kritischen Reden der Parlamentarier, die nach dem Rücktritt des alten Kabinetts am 11. September auf deutlichere Veränderungen gehofft hatten.

In einer eindringlichen Rede appellierte der Palästinenserführer an die Abgeordneten, der Regierung das Vertrauen auszusprechen, damit „dem Leiden des palästinensischen Volkes und der Besatzung ein Ende gemacht, die Demokratie aufgebaut und der Reformprozess fortgesetzt werden kann“. Er lobte das Märtyrertum und verurteilte den „barbarischsten Krieg aller Zeiten“, den die Israelis in „Dscheningrad, Tulkarem, Nablus und Rafiahgrad“ gegen die Palästinenser führten.

Die neue Ministerkonstellation hätte innerhalb von zwei Wochen nach dem Rücktritt des Kabinetts bekannt gegeben werden sollen. Arafat verschob indes wiederholt die Parlamentssitzungen – zum letzten Mal am Montag, aus Protest gegen das von Israel verhängte Reiseverbot für dreizehn Abgeordnete aus dem Gaza-Streifen. Die Politiker verfolgten die gestrige Debatte per Video-Direktübertragung. Der Zentralrat von Arafats Fatah-Partei hatte in einer anonymen Abstimmung bereits vor einer Woche die Regierungskonstellation abgesegnet.

„In den wichtigsten Ministerien werden die gleichen Männer sitzen wie bisher“, kommentierte Hashem Abu-Siru, Sprecher des ausscheidenden Innenministers Abdel Rassek Jehije, deutlich enttäuscht die Regierung, in die nur fünf neue Gesichter einziehen. Die Reformforderungen der Abgeordneten seien „in keiner Weise“ berücksichtigt worden: „Das neue Kabinett ist die unmittelbare Fortsetzung des bisherigen.“

Der parteiunabhängige Jehije, der sehr zum Wohlwollen des State Departement seinen Posten im vergangenen Juni besetzte, hatte sich vor allem die Reform der Sicherheitsdienste zum Ziel gesetzt. Sein Nachfolger im Amt Hani al-Hassan gehört der Fatah an. Nach dem Tod von Feisal Husseini stand er bis zu dessen Schließung dem Orient-Haus in Jerusalem vor. „Wir haben früher zusammengearbeitet“, berichtet Abu-Siru. „Ich hoffe das Beste, habe aber sehr große Zweifel, dass er seiner Aufgabe gerecht werden kann.“ Unklar blieb zunächst, ob der neue Minister künftig auch die Sicherheitsverhandlungen mit den Israelis leiten wird, wie es in den vergangenen Monaten Jehije tat.

Neu im Amt ist auch Zuheir Sourani, ein Onkel des bekannten Menschenrechtsaktivisten Raji Sourani. Der künftige Justizminister hatte sich in den vergangenen Jahren in seiner Funktion als Oberstaatsanwalt für eine Gewaltenteilung stark gemacht und für die Abschaffung der Todesstrafe eingesetzt.

In der neuen Regierung werden drei Ministerien – für zivile Angelegenheiten, Jugend und Sport sowie Waqf und religiöse Angelegenheiten – nicht mehr vertreten sein. Stattdessen berief der Palästinenserchef einen „Vertreter für die Front des Volkskampfes“ in die Reihen des Kabinetts. Dieses neue Ministerium, so vermutet Abu-Siru, „soll den nationalen Dialog und die Einheit verfolgen“. Die militärischen Assoziationen dürften „nicht in die Irre führen“. Ein Kampf müsse nicht unbedingt mit der Waffe geführt werden.

Tatsache ist, dass außerhalb des Parlaments bereits eine Kommission für den Volkskampf existiert. Darin sind sämtliche Widerstandsgruppen vertreten. Unmissverständliches Ziel ist die bessere Absprache und Organisation von Aktionen gegen die israelische Besatzung. Mit der Einrichtung eines speziellen Ministeriums verfolgt Arafat zweifellos das Ziel, mehr Einfluss auf diese Kommission zu erreichen. Dies kann angesichts seiner jüngsten Aufrufe zu einer Einstellung der Gewalt gegen israelische Zivilisten von Vorteil sein. Die militanten Aktivisten der islamistischen Widerstandsbewegungen hatten seinen Appell bislang offen abgelehnt. SUSANNE KNAUL

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