Phänomenologie eines Flugzeugs

Das 3001 zeigt „B-52“, eine Dokumentation von Hartmut Bitomsky über den berüchtigsten Bomber der Welt

Der Bauch des Riesenleibs öffnet sich lautlos. Ein Schwarm silberner Fische scheint zu schlüpfen, sie glitzern im Sonnenlicht, schweben, treiben langsam auseinander. Die Kamera blendet die Schwerkraft aus und macht fast vergessen, dass es sich bei den zierlichen Silberlingen um 108 Stück 225-kg-Bomben handelt, die einen „Teppich“ der Zerstörung von zwei Quadratkilometern bilden können, und dass es sich bei dem Leib um einen B-52-Bomber handelt.

Es sind Bilder aus einem Armee-Werbefilm, faszinierend und abstoßend. Solche Bildzeugnisse montiert Hartmut Bitomsky in seiner Dokumentation mit eigenen Aufnahmen, um sich der 50-jährigen Geschichte des Flugzeugs zu nähern, seinem Mythos, dem Symbol und, nicht zuletzt, der Maschine.

Bitomsky geht sie erst von außen an, in einer gewissermaßen architekturfilmischen Erkundung der Flächen und Formen. Bildstrecken von geometrischer Strenge, dabei temporeich montiert. Fast meditativ ruhig dagegen die Einstellungen, die sich Tätigkeiten, Bewegungen oder Prozeduren widmen. Bitomsky versteht die Kunst der Kontraste. Reden lässt er dabei zumeist andere – bis auf wenige nachdenkliche Off-Kommentare.

Ein junger Rekrut spult emotionslos die technischen Daten herunter. Leergewicht 78 Tonnen, Spannweite 55 Meter – oder, wie es 1952 in einem Film zur Flugzeug-Premiere volksnäher und begeisterter hieß: so breit wie ein Football-Feld, so teuer wie 6000 Chevys. Heute scheint die Air Force durch kalte Professionalität überspielen zu wollen, dass die B-52 seit dem Untergang der Sowjetunion eigentlich obsolet geworden ist. Denn ursprünglich handelt es sich um ein Produkt der Blockkonfrontation, um das Rückgrat der US-Abschreckung. Die enorme Reichweite, durch Betankung im Flug unendlich erweiterbar, garantiert global absolute nukleare Potenz.

In den 50ern umkreisten Hunderte B-52 die UdSSR. „Gott sei Dank wurde das nie Ernst“, sagt der offizielle Flugzeugmaler der Air Force, und über seine Malerei: „This is glorifying peace, not war!“ Man hat gewonnen, ohne Atomkrieg, dank B-52. Diese Erfolgsgeschichte unterschlägt natürlich, dass der Ausschluss eines direkten Kriegs den Konfliktaustrag in Stellvertreterkriegen implizierte, auf dem Rücken anderer. Das spiegelt auch die Geschichte der B-52 wieder, die für den Vietnam-Krieg vom Stratosphären-Atombomber zum konventionellen Tiefflug-Bomber umgerüstet wurde. Was das heißt, lässt Bitomsky vietnamesische Zeitzeugen erzählen.

Heute warten Hunderte B-52 auf einem gespenstischen Bomberparkplatz in der Wüste Arizonas auf ihre Verschrottung. Wenn die Air Force auch ihr reales Gewaltpotenzial nur noch als bedingt notwendig einstuft, das symbolische bleibt allemal wichtig. Der Kosovo-Krieg wurde nicht umsonst mit dem Einsatz dieser Ikone der Macht eröffnet.

Ihre Deutung besorgt in B-52 ein Künstler, der aus deformiertem B-52-Schrott das ausgegrenzte Andere hervorlocken will. Er analysiert den Zeichencharakter dieses fliegenden Phallus und deckt den Widerspruch auf, dass der sich beim Tankmanöver gleichsam selbst penetriert. Der spannende Vortrag kippt um in eine Satire auf semiotischen Deutungswahn. Diesen hält sich Bitomsky gerade durch solche Gesprächspartner vom Leib – durch dieselbe kluge Distanz, mit der er verhindert, dass wir anfangen, den Bomber zu lieben. Jakob Hesler

Do, Fr + Mo–Mi, 18 Uhr, 3001