Aufgebrochene Narrationen

Protagonist der japanischen Nouvelle Vague: Das Metropolis zeigt im November immer dienstags und donnerstags Filme von Shohei Imamura aus den Jahren 1958 bis 1967

von ECKHARD HASCHEN

Als 1997 Der Aal, für den er in Cannes die Goldene Palme gewonnen hatte, bei uns anlief, war vielen der Name Shohei Imamura kein Begriff. Das lag zum einen daran, dass der 1926 geborene Regisseur nur noch in immer größeren Abständen drehte. 1990 war Schwarzer Regen über die Folgen der Atombombenabwürfe von Hiroshima und Nagasaki enstanden, 1983 Die Ballade von Narayama, mit dem Imamura erstmals in Cannes siegreich war. Zum anderen lag es daran, dass seine frühen, von 1958 an entstandenen Filme außer auf Festivals und in Retrospektiven in Deutschland so gut wie nicht zu sehen gewesen waren.

Umso verdienstvoller ist es, dass nun das Metropolis sieben von Imamuras ersten Filmen zeigt. Früher als der ältere Nagisa Oshima (Im Reich der Sinne) begann Imamura damit, Sexualität weniger verschlüsselt darzustellen als noch Kenji Mizoguchi oder Yasujiro Ozu (bei dem Imamura assistiert hat) – was Imamura ständige Auseinandersetzungen mit der Zensur bescherte. Aber wie in den großen westlichen Ländern konnte auch die japanische Filmindustrie den frischen Wind einer neuen Generation von Regisseuren nicht lange ignorieren. Und so wurden diese denn bald nach dem Vorbild der französichen Nouvelle Vague als „Neue Welle“ bezeichnet.

Vergleichsweise harmlos kommt Imamuras Debüt, die Komödie Gestohlene Sehnsucht daher, in dem er von den Irrungen und Wirrungen innerhalb einer Gruppe von Kabuki-Schauspielern erzählt. Aber schon da klingen die Themen an, die Imamuras Filme fortan bestimmen sollen: das Aufeinanderprallen der Triebkräfte nach Geld und Sex mit den sehr starren Konventionen der japanischen Gesellschaft.

Zwar ist Endlose Begierde immer noch eine Komödie, aber mit deutlich dunklerem Ton: Die Suche einer Bande nach einem vergrabenen Schatz löst sich nicht mehr in Wohlgefallen auf, sondern endet in einer wilden Katastrophe. In Schweine und Kriegsschiffe treten dann Züge eines Sittenbildes hinzu: Ein junges Paar aus den Slums muss sich im besetzten Nachkriegs-Japan mit Gangstern und Zuhältern herumschlagen. Nebenbei wird das Milieu einer US-amerikanischen Marine-Basis karikiert.

Als ein Hauptwerk Imamuras gilt Das Insektenweib, in dem er endgültig mit den Konventionen des japanischen Studiofilms brach. An realen Schauplätzen und mit Originalton gedreht, zeichnet er darin ein Frauenleben zwischen 1918 und 1962 nach. Als unehelich geborenes Mädchen vom Lande hat Tome (Sachiko Hidari erhielt für diese Rolle 1964 bei der Berlinale einen Silbernen Bären) eigentlich nie eine Chance: In Tokio wird sie Prostituierte, betreibt dann selbst ein Bordell, wird schließlich sogar Gewerkschaftssprecherin, muss dann aber ins Gefängnis und bleibt am Ende doch von Männern abhängig. Ähnlich wie zur selben Zeit Godard, bricht Imamura hier die erzählerische Kontinuität durch überraschende Zwischentitel, Standbilder und innere Monologe auf und setzt die Geschichte seiner Heldin zu realen Ereignissen in Beziehung.

Formal wieder geschlossener, in der Darstellung der Begierden und Zwänge aber umso drastischer ist Rote Mordgedanken, eine Studie über eine Frau, die in einem repressiven und pervertierten Familienverband gefangen ist. Lotet Imamura hier in größter Strenge die Grenzen von Hingabe, Sexualität und Tod aus, so nimmt er in Der Pornograph die Sexualneurosen der Japaner wieder sehr viel verspielter aufs Korn. In Ein Mann verschwindet bezieht er dann auch die Frage nach der Grenze zwischen Realität und Fiktion in seine nüchternen Zustandsbeschreibungen der conditio humana mit ein.

Gestohlene Sehnsucht: Di, 5.11.; Endlose Begierde: Do, 7.11.; Schweine und Kriegsschiffe: Di, 12.11.; Das Insektenweib: Do, 14.11.; Rote Mordgedanken: Do, 19.11.; Der Pornograph: Di, 26.11.; Ein Mann verschwindet: Do, 28.11., jeweils 19 Uhr, Metropolis