„Eine sehr glückliche Ehe“

Seit zehn Jahren können sich ArbeitnehmerInnen im „westend“ in „künstlerische Prozesse verwickeln“ lassen. Ein Gespräch über ästhetische Ansprüche, das Rumdaddeln und die Stille

„Es ist ja nicht mehr so, dass zu „Theater für Anfänger“ die ganze Spätschicht von Daimler kommt“

Thomas Frey, Kulturreferent der Arbeitnehmerkammer, hat die Entstehung des „westend“ von Anfang an begleitet und ist Vorsitzender des Trägervereins. Hartmut Emig hat durch Musikprogramme und die Stadtteilshow „Der Gute Abend“ die inhaltliche Arbeit des „westend“ mitgeprägt.

taz: Die Schwankhalle ist Baustelle, also ist das „westend“ immer noch Bremens jüngstes Kulturzentrum. Was ist der wichtigste Grund zum Feiern?

Thomas Frey: Dass wir die ersten zehn Jahre heil überstanden haben. Angesichts dessen, was in dieser Zeit kulturpolitisch mit Sparrunden, Kursschwenks und Senatorenwechseln alles passiert ist, muss man richtig froh sein, überhaupt so alt geworden zu sein.

Hartmut Emig: Für mich ist der größte Erfolg, dass wir bestimmte konzeptionelle Ansätze entwickelt haben. Wenn man sich so umsieht, ist das gar nicht so selbstverständlich: Es gibt eine ganze Menge, die noch in soziokulturellen Konzepten aus den 80er Jahren herummachen.

Und Ihr?

Bei uns geht es darum, sich ganz ernsthaft auf künsterlische Prozesse einzulassen. Jede „westend“-Produktion ist eine Auseinandersetzung mit professionellen Künstlern, zusammen mit ambitionierten Laienkünstlern. So stellen wir den typischen „westend-Mix“ her. Das ist für mich ein moderner Weg der Soziokultur.

Die Lage am Waller Zentralfriedhof beschert Euch nicht gerade ein reichhaltiges Laufpublikum. Ist es Euch nicht zu still im „westend“?

Thomas Frey: Eigentlich gar nicht. Unser Konzept hat sich ja im Lauf der Zeit auch gewandelt: Wir haben das verfeinert, wir hatten Irrtümer. Da kann der Zentralfriedhof gut in der Nähe liegen, bei dieser Form von Lebendigkeit stört uns das noch nicht. Laufpublikum im klassischen Sinn wäre nur wichtig, wenn wir ein reines Veranstaltungszentrum wären. Aber da wir fast immer in einen Prozess einsteigen, an dem wir von Anfang an viele beteiligen, haben wir unter mangelnden Publikumszuspruch nicht zu leiden.

Hartmut Emig: Wir haben die Erfahrung gemacht, dass ein Publikum, dass künstlerisch ambitioniert ist, auch hochmobil ist.

Andere Zentren wie der „Schlachthof“ mussten sich zunehmend auf Veranstaltungen verlegen, um finanziell über die Runden zu kommen. Wie könnt Ihr Euch leisten, vor allem Produktionsort zu sein?

Thomas Frey: Unsere Finanziers sind bei der Stange geblieben – also Stadt, Arbeitnehmerkammer und DGB. Ohne deren Grundfinanzierung wäre das nicht möglich, dass kann man ganz klar so sagen. Aber aus dem, was wir bekommen, haben wir eine ganze Menge entwickelt. Das gegebene Geld ist mit den Menschen, für die dieses Haus existiert, eine sehr glückliche Ehe eingegangen.

Hartmut Emig: Es gibt bestimmte kulturelle Produktionsformen, die nur in so einem Zusammenhang möglich sind. Das kann man ganz konkret an unseren Projekten erkennen: Zum Beispiel „Das Erbe von Al-Andalus“, wo wir professionelle Musiker der Alten und der Neuen Musik sowie der Jazzszene und ambitionierte Laien zusammen gebracht haben. Das würde sich jemand, der kommerziell Kultur plant, nie einfallen lassen.

Man muss aber auch sagen, dass das „westend“ – auch von der Stadt gewollt – immer ein sehr starker Durchlauferhitzer für arbeitslose Künstler gewesen ist. Bis vor drei Jahren hatten wir noch, über alle möglichen Konstruktionen, 15 feste Leute im Haus. Allerdings ist das jetzt reichlich dünner geworden. Wir haben nur noch sechs Feste, die Reinigungskraft mitgerechnet.

Es gab mal den etwas neidbehafteten Ausdruck, das „westend“ sei das liebste Fürsorgekind von SPD und DGB. Seid Ihr das noch?

Thomas Frey: Ganz bestimmt nicht.

Hartmut Emig: Vielleicht umgekehrt: Wir machen uns schon öfter Sorgen um die.

Thomas Frey: Das „westend“ ist in einer Zeit gegründet worden, in der es nicht viele Neugründungen gab. Von daher rührte dieser Ausdruck sicherlich. Wenn damit der Gedanke verbunden wird, dass das „westend“ eine Kopfgeburt gewesen sei, dann beweisen die zehn Jahre ganz sicher das Gegenteil.

Trotzdem war es eine Gründung „von oben“ – im Gegensatz zum Schlachthof, der ja durch Besetzung entstanden sind. Ist das ein Geburtsfehler?

Thomas Frey: Das war keine reine Papiererfindung. Es gab ja viele Stadtteil- und Gewerkschaftsgruppen, die das Haus gefordert hatten.

Ein Motiv des DGB, das „westend“ zu unterstützen, war auch der Nachwuchsmangel. Es ging um Jugendberatungsstellen und das Schlagwort, „wir müssen einen Fuß in die Baubude bekommen“. Haben sich diese Erwartuntgen erfüllt?

Thomas Frey: Es hat lange Zeit in Anspruch genommen, aber dann war die Kultur innerhalb des DGB als eigenständiger Bereich akzeptiert. Von daher gab durchaus kein rein instrumentelles Verhältnis zur Kultur – in dem Sinn, wir machen das, um Mitglieder zu bekommen.

Trotzdem: Erreicht Ihr die Azubis?

Thomas Frey: Wir wollten nie ganz speziell auf Jugendliche zugehen. Wir sprechen allgemein Arbeitnehmer an. Und das haben wir auch in einem akzeptablen Maß erreicht.

Ist der Titel „Kulturwerkstatt für ArbeitnehmerInnen“ ein Zugeständnis an den DGB, oder habt Ihr wirklich ein Spezialpublikum?

Thomas Frey: Wir haben sehr sehr viel diskutiert, ob man heute noch von einer Arbeiterkultur sprechen kann. Aber dann haben wir gesagt, wir orientieren uns auf Arbeitnehmer, also abhängig Beschäftigte im Allgemeinen. Wir haben uns nie auf Songgruppen beschränkt, die Arbeiterlieder zur Gitarre singen.

Hartmut Emig: Es ist ja längst nicht mehr so wie in den 70er oder 80er Jahren, dass ein Bildungsurlaub „Theater für Anfänger“ ausgeschrieben wird und dann die ganze Spätschicht von Daimler kommt.

So was gab‘s mal?

Hartmut Emig: Ja klar! Die hatten keinen Bock auf Spätschicht, und dann wurde der arme Kurs-Teamer überrannt. Das gibt‘s heute alles nicht mehr. Man konzentriert sich auch nicht mehr auf bestimmte Betriebe. Bei meinen Projekten kommen überwiegend gut gesettelte Arbeitnehmer, es gibt eine gewisse Akademisierung.

Man muss auch sagen, dass in der kulturpolitischen Diskussion – im Gegensatz zu den 70er Jahren – vom DGB nicht mehr viel kommt. Und wir können ja nicht für die Gewerkschaften irgendeinen Kulturbegriff entwickeln.

Thomas Frey: Wir können nicht formulieren, was Arbeitnehmerkultur ist – das ändert sich täglich. Aber wir wollen versuchen, eine gewisse Ansprüchlichkeit zu entwickeln – thematisch und künstlerisch. Und das nicht abschreckend, sondern offen für alle.

Hartmut Emig: Ich sehe das etwas schärfer. Es gibt Begabungen, und die setzen wir – neben der Bereitschaft, an sich zu arbeiten – auch zunehmend voraus. Sonst kann man bestimmte Qualitätsziele einfach nicht erreichen. Man muss sich davon verabschieden, dass in der so genannten Soziokultur jeder einfach mal so rumdaddeln kann. Wenn man Kunst herstellen will, braucht man einfach ein paar Voraussetzungen.

Interview: Henning Bleyl

Das Jubiläumsprogramm beginnt heute abend um 20 Uhr mit einem Konzert der „Telstars“ und Evelyn Gramel/Peter Apel. Bis Sonntag folgen „Jubilee in Arts“, „in Party“, „in God“ und „in Cabaret“. Letzteres ist ein Best off unter anderem des „Guten Abends“