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: HELMUT HÖGE über Nutzfahrzeuge

Der Treckermarkt ist in Bewegung

Die Berliner Treckerbegeisterung, vor allem in Kreuzberg, verdankt sich „Trecker-Becker“. Der 1984 in den Westen abgeschobene Transportunternehmer wohnt jetzt zwar wieder im Osten, aber von seinem Traktor, den er sich wegen eines Führerscheinentzugs zulegte, hat er sich nicht getrennt, auch nicht von seinen guten Beziehungen zu den Rollheimern, die ebenfalls eine gewisse Treckerbegeisterung entwickelt haben.

In Gorleben hat der Widerstand der Bauern gegen das dort geplante Brennstäbe-Endlager inzwischen sogar eine eigene Traktorsprache hervorgebracht: „Treckerdemo, Demotrecker, Treckerblockade“ etc. Die Polizei reagiert darauf mit „Treckerstilllegungen, Treckerzerstörungen“ und Führerscheinentzügen.

Auch sonst ist der Traktor ein Symbol für allerlei Wünsche – seitdem die Sowjetunion mit dem Traktorbau und den Traktoristen eine neue landwirtschaftliche Ära einleitete. Mit ihrem Zerfall geriet der Treckermarkt in Bewegung. Im Osten reorganisierten sich die großen Traktorenwerke und starteten Verkaufsoffensiven nach Westen: z. B. die Fabriken „Ursus“ in Polen und „Utus“ in Rumänien. Das Modell Ersterer ist ein Nachbau des Lanz-Bulldog, das Letzterer nahezu baugleich mit dem tschechischen „Zetor“. In der legendären Wolgograder Traktorenfabrik, die eine eigene Zeitung Traktor herausgibt, bezeichnet man die landwirtschaftlichen Zugmaschinen mit Ketten als „Traktoren“, was die Umrüstung der Fabrik auf Panzerproduktion erleichterte; hier würden wir solche Traktoren eher Bulldozer nennen.

Der erste Treckerkauf: das ist für jeden Bauer ein „Schlüsselerlebnis“. Obwohl ich es nur zum landwirtschaftlichen Betriebshelfer brachte, habe ich doch mehrmals einen Trecker besessen: zuerst einen geschenkten Porsche, dann einen alten Deutz und schließlich einen englischen David Brown in Weiß. Jede Traktormarke hat eine charakteristische Farbe. Der Fiat wird von den deutschen Bauern verächtlich „Apfelsine“ genannt. Im Vogelsberg fuhren wir oft mit einem dunkelgrünen Unimog von Mercedes-Benz herum – ein feines Fahrzeug, aber auf dem Acker fühlt man sich damit noch entfremdeter (von der Bodenbearbeitung), einen Kompromiss stellt der lindgrüne Mercedes-Benz-„Trac“ dar, den die aus dem Kombinat Fortschritt herausgelösten Traktorenbauer in Schönebeck seit einigen Jahren übernommen haben – d. h. „verbessert“ nachbauen. Sie verkaufen ihre „MB-Tracs“ mit angeblich bis zu 1.000 PS vor allem nach Asien, aber auch in Österreich schätzt man den guten Namen „MB“.

Auf dem Land gibt es eine ganze Treckerkultur: Traktorclubs, Oldtimersammler und -händler, Kneipen, Fußballvereine und Punkgruppen, die „Traktor“ heißen und vom Wettpflügen über Traktorrennen bis zu den Landmaschinenmessen ein großes Interesse an allen Traktorneuheiten. Dafür sorgt schon der am Ort ansässige und in aller Regel einflussreiche Landmaschinenhändler.

Weil die Bauern stur sind und so viel wie möglich selber reparieren müssen, wechseln sie ungerne die Treckermarke. Deswegen kann von einem Erfolg der Osttrecker auf dem Westmarkt nicht die Rede sein, obwohl bei ihnen „der Preis stimmt“. Umgekehrt haben aber die Händler und Unterhändler der West-Treckerfirmen – von John Deere, Ford, Deutz, Fendt, Massey Ferguson, Renault, Fiat, Mc Cormick, Lindner, Kramer, Schlüter, Same, Steyr. New Holland usw. – auch keine besonders große Anzahl von Treckern im weiten Osten losschlagen können – bis 98, als der Rubel völlig verfiel und der Import fast zum Erliegen kam.

Wahrscheinlich wird man sich jetzt auf Fusionen bzw. auf mehr oder weniger feindliche Übernahmen einstellen. So dass am Ende – ebenso wie beim PKW-Bau – nicht mehr als 11 bis 12 Traktorenwerke weltweit übrig bleiben werden, wie ein auf diese Branche spezialisierter Jurist aus der deutsch-polnischen Anwaltskammer meint. Im Gegensatz zu den Pkws sind jedoch die Trecker ebenso wie die obendrauf sitzenden Bauern zäh – d. h., sie werden uralt. Fast könnte man von einem traktoriellen Senioritätsprinzip sprechen.

Wären da nicht die unermüdlichen Traktoringenieure, die sich laufend irgendeinen neuen Scheiß ausdenken: immer mehr High-Tech, immer mehr Firlefanz, voll klimatisierte Fahrerkabinen, mit Fernseher, CD-Anlage und Kühlschrank usw. Damit haben sie die Traktoristen und Bauern bereits derart ausgetrickst, dass es schon jede Menge Nebenerwerbslandwirte gibt, die mehr PS haben als Quadratmeter, die sie nach Feierabend bewirtschaften. Es sind „Treckerirre“ geworden. Dazu gehöre ich leider auch, obwohl ich derzeit weder das eine noch das andere besitze.