Das Leben der Beat-Boheme

Das Bellen der Diamantenhunde: Zu musikalischer Begleitung las D. Holland-Moritz im Kaffee Burger aus seiner autobiografisch getönten 70er-Textcollage „Lover’s Club“

„Verbrecherversammlungen“ des „Verbrecherverlags“ im „Kaffee Burger“ sind ja das Schönste im Grunde genommen. Während die im Umfeld des Kaffee Burger erscheinende Zeitschrift Gegner auf die Zwanzigerjahre Bezug nimmt, denkt man bei den „Verbrecherversammlungen“ immer ein bisschen an Räuber Hotzenplotz, und der schwergewichtige Verbrecherverlagschef Jörg Sundermeier scheint einem wegen seines Bartes auch einem Räuberhauptmann zu gleichen: einem fürsorglichen Räuberhauptmann, um genauer zu sein, denn er stellt die Bänke vor die Bühne, auf denen die Verbrecher ihre Sachen vortragen, die im Allgemeinen die besten sind, so lehrt die Erfahrung.

Diesmal las D. Holland-Moritz aus seinem kürzlich bei Merve erschienenen Buch „Lover’s Club“, das den Untertitel trägt „Eine Stimme aus dem Off“, also vom Titel her schon laut gelesen werden will.

Das Buch „Lover’s Club“ ist die autobiografisch getönte Schrift eines 48-jährigen, in Berlin lebenden Bohemiens und Künstlers, der in Solingen aufwuchs. Es geht um ein bohemistisch-existenzialistisches Post-68er-Leben, um Subkultur, Sex, Drugs, Rock ’n’ Roll, politisch-ästhetische Konzepte, westdeutsche Provinz und Metropolen, um die Sehnsucht nach einem anderen Leben, das sich eher an Beatautoren und Popmusik orientierte als an Marx. Um dies seltsame Nichts vielleicht, um das das Leben dieser merkwürdigen Drogensubkultur kreiste. Dies Nichts, das sich dem Terror der Intention entziehen wollte und so viel schwerer zu beschreiben ist als das zielgerichtete Leben und Streben ehemaliger Terroristen etwa.

Der größte Teil von „Lover’s Club“ spielt jedenfalls in den 70ern und Holland-Moritz’ Text lässt manchmal ein bisschen an Ginsbergs „The Howl“ denken. Nicht nur, weil’s eher Lyrik und Beschwörung ist, sondern auch, weil er sich wie die Beatpoeten musikalisch begleiten lässt.

Bernhard Steudel war sein Partner an der E-Gitarre, und zunächst begann es mit einem Hit sozusagen, den „Winds of Change“, einem aus 450 Songtiteln (vor allem aus den 60er- und 70er-Jahren) collagierten Text, den Holland-Moritz seit vielleicht zehn Jahren immer mal wieder aufführt: „Ich bin der Anführer der Bande. Es ist meine Generation (…) die Zeit ist auf meiner Seite (…) der 19te Nervenzusammenbruch war ein Spiel mit dem Feuer“ usw.

Man freut sich, dass man alle Songtitel wiedererkennt, und darüber, dass alles so prima existenzialistisch klingt. Irgendwann bellen im Hintergrund die Diamantenhunde von David Bowie. Sehr elegant sieht der Dichter aus, wie er da so steht, und dann ist es wieder klasse, wenn er am Anfang des längeren „Lover’s Club“-Textes Jim Morrisons „We need golden copulations“ zitiert und „copulations“ so als Statement eben englisch ausspricht und nicht amerikanisch.

So gleitet man im meist schwarz gekleideten Publikum durch die Jahrzehnte existenzialistischer Popmusik, überlegt kurz, ob es besser wäre, wenn sich Holland-Moritz von einer Band begleiten ließe, oder ob sein Vortrag auch auf einer großen Bühne vor ein paar tausend Leuten funktionieren würde, kommt zum Schluss – nö, so ist es am besten, weil das optisch ja auch am besten aussieht, Steudel mit seinem kleinen Verstärker und Holland-Moritz daneben, die Blätter in der linken, von denen er abliest, sparsam die Gesten der Linken, die die weggelesenen Seiten wieder einordnet. Manchmal singt er ein bisschen und klingt dann wie Lou Reed, mit einer Andeutung von Mick Jagger.

Nach einer Stunde rollt er die Blätter sehr stilbewusst zusammen und steckt sie in seine Gesäßtasche. Während im Hintergrund „Gimme danger“ von Iggy Pop läuft, reden wir über die Schwierigkeit, von den 70ern zu berichten, ob man zum Beispiel nicht häufiger das ungeschütztere „Ich“ in Texten verwenden sollte.

Vielleicht wird Holland-Moritz noch was über die 80er machen. Schwierig, weil die 80er ja bekanntlich darin bestanden, schwarzgekleidetschweigend zu extrem lauter Musik am Tresen herumzusitzen. In den 80ern dachte man, man wäre der einzige Kontaktgestörte, und später findet man heraus, dass eigentlich alle so waren.

DETLEF KUHLBRODT

D. Holland-Moritz: „Lover’s Club“. Merve-Verlag, Berlin 2002