netzgeschichten
: Im Himmel der Computer

Einer meiner beiden Computer stirbt. Jede andere Beschreibung seines Zustands wäre unangemessen, und so viel Fetischismus muss erlaubt sein. Sein Tod geht mir nahe, die Trauer, die ich empfinde, gleicht der Trauer beim Tod meiner Katzen. Nie wieder übrigens habe ich danach Katzen angeschafft; zum Schicksal meines sterbenden Computers gehört es dagegen, dass ich mich bereits nach einem Nachfolger umgesehen habe. Das vermindert den Abschiedsschmerz keineswegs, es verschafft mir lediglich das schlechte Gewissen, kaltherzig zu sein, denn es scheint mir offensichtlich, dass er mit all seinen schwindenden Kräften versucht, weiterzuleben.

 Er war ein Laptop, bevor sein Display erblindet ist. Ich habe es abmontiert, und den Torso von morbider Eleganz, der damit entstand, an einen nagelneuen, externen Bildschirm angeschlossen. Aber nur ein paar Tage freuten wir uns zusammen an dieser Genesung, dann versagte die Tastatur, und das Rechenwerk begann schon die ersten Befehle jenes Betriebssytems zu verweigern, das es so viele tausend Male ohne Murren bewältigt hatte.

 Nicht einmal mehr die Anfangsgründe von Windows also; das Ende war gekommen. Trotzdem habe ich die Tastatur ausgebaut, um darunter nachzuschauen, ob es nicht doch noch Hilfe gebe. Man glaubt gar nicht, wie klein und leicht das Herz eines Computers ist – und wie heiß. So nackt und bloß und mit geöffnetem Gehäuse kehrte ihm die Erinnerung zurück, das Bild auf der angehängten Prothese auch, ein paar Millionen Programmzeilen waren in Sekunden abgearbeitet, und mit einem Mausklick war auch wieder der Anschluss ans Internet geöffnet.

 Ich habe keine Ahnung, woran genau diese Maschine soeben noch gescheitert war. Sehen kann man ihr Innenleben nicht. Aber ich begriff etwas ganz anderes. Ihre wirkliche Heimat ist nicht der Schreibtisch und das Büro, auch wenn die Namen ihrer Standardprogramme daran erinnern. Ihr Ursprung ist das Netz, der Cyberspace. Vielleicht ist er sogar ihr Himmel. Alles war wieder da, massive Java-Zusatzprogramme liefen völlig fehlerfrei, Flashanimationen, Videos, MP3-Files: Datenströme ohne Ende waren für diesen schon halb ausgeweideten Computer keine Last. Im Gegenteil, sie schienen ihn zu beleben wie die Infusionen konzentrierter Flüssignahrung, die das Leben humanoider Organismen in der Intensivstation verlängern.

 Nur zur Arbeit nütztlich war diese bloßgelegte Konfiguration intergrierter Schaltkreise nicht mehr. Mit der Tastatur hatte sie alle Pflichten des Alltags hinter sich gelassen. Sie schien völlig losgelöst und frei im Datenraum zu schweben. Ergriffen von diesem Schauspiel, wies ich das Programm an, immer entlegnere, exotischere Orte im Reich der vereinigten Computer aufzusuchen. Alles war erlaubt, alles war gut, denn es konnte ja sein, dass diese unglaubliche Maschine zu ihrem letzten Trip aufgebrochen war.

 Danach habe ich das Gehäuse wieder notdürftig zusammengeschraubt. Am anderen Tag ließen sich die offenbar doch überlasteten Chips nicht mehr zum Ausführen von Programmen bewegen, am übernächsten Tag aber doch wieder. Der nächste Heimaturlaub stand bevor, und so geht das nun schon seit Tagen. Ich halte Totenwache. Weder weiß ich, warum es meinem Computer manchmal gelingt, sein numehr vollkommen eigensinnig gewordenes Eigenleben zu entwickeln, noch weiß ich, warum er manchmal stumm und tot bleibt, obwohl ich ihn eingeschaltet habe wie jeden Tag. Die Rechenmaschine hat aufgehört, berechenbar zu sein, und ich respektiere voller Rührung dieses Ende ihrer guten Dienste. Ihr Wille geschehe. NIKLAUS HABLÜTZEL

niklaus@taz.de