Einigkeit und Show und Ordnung

aus Hamburg PETER AHRENS

Luigi Colani, der alternde Stardesigner, sitzt im ehrwürdigen Hamburger Rathaus und ruft mit großer Geste: „Ich werde euch die schärfsten Polizeiuniformen des Kontinents schaffen. Ganz Europa wird süchtig nach Hamburg schauen.“ Neben ihm sitzt Ronald Schill, Innensenator der Freien und Hansestadt, grinst über beide Ohren und genießt die Vorstellung, die Colani vor der Presse inszeniert. Politik hat wieder Unterhaltungswert bekommen, seit vor genau einem Jahr der erste Rechtssenat nach 44 Jahren sozialdemokratischer Dauerherrschaft sein Amt in Hamburg angetreten hat. Seriöse Rathausjournalisten schreiben seitdem mit Verve auch über Kokainaffären, Schickeriapartys und Promillewerte. Nie war so viel Show in der Hamburger Politik wie im abgelaufenen ersten Regierungsjahr des Senats von CDU-Bürgermeister Ole von Beust. Nie hat aber auch eine Regierung im Hamburger Rathaus die Stadt dermaßen polarisiert, wie es diesem Senat vor allem dank seines Innensenators gelungen ist.

Der Paradiesvogel der hanseatischen Politik, der Mann, den die ehemalige grüne 2. Bürgermeisterin, Krista Sager, als „Borderlinepersönlichkeit“ bezeichnet, hat die Schlagzeilen des abgelaufenen Jahres beherrscht. Allerdings hatte dies nur selten mit sachpolitischem Handeln zu tun. Das überlässt Schill liebend gern seinem ehrgeizigen Staatsrat Walter Wellinghausen. Als in der Stadt zuletzt tagelang heftig über den umstrittenen Verfassungsschutzentwurf der Innenbehörde diskutiert wurde, zog Schill es vor, vor der kroatischen Küste zu segeln. Als er aus dem Urlaub zurückkam, berief er zwar eine Pressekonferenz ein – doch dort ging es nur um Schills Lieblingsprojekt, die Einkleidung der Hamburger Polizei in blaue Uniformen. Der große Lauschangriff auf Ärzte, Journalisten und Anwälte, wie Schill ihn plante, war ihm lediglich eine Bemerkung wert, als er von den Journalisten zu einer Stellungnahme geradezu genötigt wurde.

Die Lust am Regieren hat Schill im ersten Jahr weitgehend verloren, zu Ausschüssen und Bürgerschaftssitzungen taucht er nur auf, wenn es unbedingt sein muss. Tatsachen, die den Hamburgern, die ihn vor einem Jahr mit sensationellen 19,4 Prozent ins Senatsamt hievten, nicht verborgen geblieben sind. Gerade mal 8 Prozent würden Schill nach einer aktuellen Umfrage heute noch wählen. Darüber hinaus hat seine Wahlkampfrede im Deutschen Bundestag im Sommer das Ansehen des Innensenators massiv sinken lassen. Sich vor laufenden Kameras mit der Bundestagsvizepräsidentin Anke Fuchs – zu allem Überfluss der Tochter des hoch angesehenen Hamburger Exbürgermeisters Paul Nevermann – anlegen und sich nach Überschreiten der Redezeit weigern, das Rednerpult zu verlassen, so etwas gilt als höchst unhanseatisch. Das stößt in den feinen Elbvororten, den Hochburgen der CDU, ebenso auf Ablehnung wie in den Chefetagen des Springer-Verlags.

Schillz statt Filz

Kein Wunder, dass danach auch die CDU Krach schlug, die bis dato sämtliche Affären Schills großzügig toleriert hatte. Über seine verbalen Ausfälle gegen Ausländer, „die unseren Wohlstand verfrühstücken“, hatten die Christdemokraten ebenso hinweggesehen wie über die Selbstbedienungsmentalität der Schill-Partei. Kaum im Amt, versorgten sich mehrere Funktionäre der Partei mit hochrangigen Behördenposten. Bausenator Mettbach wollte seine Freundin, eine Physiotherapeutin, zu seiner persönlichen Referentin ernennen und musste erst nach einer heftigen Debatte in der Stadt wieder zurückrudern. Ausgerechnet eine Partei, die ihren Wahlkampf auch mit dem Schlagwort „SPD-Filz“ gewonnen hatte, machte als erstes Schlagzeilen mit Pöstchenschacher. Das Wort vom „Schillz“ kam auf.

Der Absturz des Ronald Schill in der Wählergunst kommt dem Bürgermeister gar nicht so ungelegen. Je mehr Schill verliert, desto mehr legt Ole von Beust an Ansehen zu. Er hat es geschafft, fast unbeschädigt von den Affären seines Innensenators zu bleiben. Von Beust bestimmt die Richtlinien der Senatspolitik, die Prügel dafür kassieren andere: Schill und der weitgehend unglücklich agierende FDP-Schulsenator Rudolf Lange. Vor einem Jahr mit einem miserablen Resultat von 26 Prozent aus der Bürgerschaftswahl hervorgegangen, liegt von Beusts CDU mittlerweile bei 34 Prozent – und das ist fast ausschließlich dem Renommee des Bürgermeisters zu verdanken. Gemeinsam mit dem CDU-Bundesschatzmeister Wolfgang Peiner, an dem als Finanzsenator der Stadt keine wichtige Entscheidung vorbeigeht, schmiedete er die Idee von der „wachsenden Stadt“ Hamburg, ein Stichwort, ohne das mittlerweile keine Von-Beust-Rede auskommt. Hamburg soll in ein paar Jahren eine Zweimillionenstadt werden, sich messen mit Metropolen wie Barcelona, Sydney oder Seattle. Gleichzeitig wird die Olympia-Bewerbung der Stadt mit Macht betrieben, auch ein Instrument, mit dem aus Senatssicht Hamburg Glanz verliehen werden kann.

Polizei statt Fürsorge

Eine Vision, für die von Beust und Peiner Geld in die Hand nehmen, das sie angesichts der milliardenschweren Steuerausfälle der Stadt an sich nicht mehr haben. Daher muss woanders gespart werden, und hier offenbart der Rechtssenat seine ungemütlichste Seite. Herhalten für die ehrgeizigen Pläne des Senats müssen Drogenhilfen, Frauenprojekte, Beschäftigungsträger, Sozialhilfeempfänger, Gesamtschulen. Das erste Jahr der Regierung von Beust stand vor allem im Zeichen einer konsequenten Umverteilung der finanziellen Mittel. Damit hat er mehr Polizei auf die Straße gebracht und eins der zentralen Wahlversprechen eingelöst. Damit hat er aber auch die soziale Unruhe in der Stadt verschärft. Einen Weg, den er bewusst beschreitet: So will der Senat noch im Lauf dieser Woche den größten Bauwagenplatz der Stadt im alternativen Karolinenviertel räumen lassen, dessen Bewohner fast zehn Jahre unbehelligt und geduldet waren. Auseinandersetzungen sind vorprogrammiert.

Die Wiedereinführung geschlossener Heime für straffällige Jugendliche, der Bau eines Abermillionen teuren Gefängnisses, die Abschaffung des Spritzentauschs für heroinsüchtige Häftlinge, die konsequente Kontrolle der Daten von Sozialhilfeempfängern, die Abschaffung der Stelle einer Ausländerbeauftragten – Sozial- und Gesundheitspolitik wird vom Ordnungsgedanken abgelöst. So hatte es der Senat im Wahlkampf versprochen, so wird es umgesetzt. Und denoch: Ausgerechnet auf den Politikfeldern, auf denen sich in Hamburg alles ändern sollte, hat die Regierung im Premierenjahr ihre dramatischsten Defizite offenbart. Innere Sicherheit, Bildung, Verkehr wurden zu den Schwerpunktbereichen auserkoren – und vor allem die personelle Besetzung dieser Schlüsselressorts geriet zum Fehlgriff. Schills Wort von der Halbierung der Kriminalität ist nur noch ein Running-Gag in der Stadt. Der Bildungssenator Lange hat sich durch seine ungeschickte Amtsführung sämtliche mächtigen Interessengruppen im Schulbereich zu Gegnern gemacht. Lange verhedderte sich in missverständlichen Zahlen über die Lehrerversorgung in der Stadt. Er desavouierte seine Beamten öffentlich im Parlament und musste das den Lehrern der Stadt schriftlich gegebene Versprechen, sie von der Mehrarbeit auszunehmen, kleinlaut wieder zurücknehmen. Und der für Verkehr zuständige Schill-Senator Mario Mettbach ist mit seiner Ankündigung, die Staus in der Stadt zu beseitigen, grandios gescheitert.

Auch auf anderen Gebieten fällt die Bilanz bestenfalls bescheiden aus: Die Arbeitslosigkeit in der Stadt ist seit einem Jahr weit über den Bundesdurchschnitt gestiegen. Das so genannte Hamburger Modell von Wirtschafts- und Arbeitssenator Gunnar Uldall (CDU), mit dem Arbeitgebern Anreize für die Einstellung von Arbeitslosen gegeben werden, wird nicht angenommen. Die Fertigstellung eines wichtigen Infrastrukturprojekts wie der S-Bahn-Anbindung an den Flughafen musste um Jahre verschoben werden.

Dauerlösung statt Zwischenspiel

Ein vorzeitiges Scheitern der Regierung ist dennoch so gut wie ausgeschlossen. Die Opposition in der Stadt hat trotz eines überragenden Bundestagsergebnisses – Rot-Grün kam in Hamburg auf 58 Prozent – bislang kaum Profit aus den Fehlern des Senats ziehen können. Sie präsentiert sich personell ausgeblutet, nachdem der starke Mann der SPD, Olaf Scholz, in Berlin eingebunden ist und die bekannteste Figur der Grünen, Krista Sager, ebenfalls in der Bundespolitik noch einmal Karriere gemacht hat. Sollte Scholz aufgrund seiner bundespolitischen Verpflichtungen als Bürgermeisterkandidat in drei Jahren nicht zur Verfügung stehen, hat die SPD zudem weit und breit keine Alternative.

Sie müsste darauf hoffen, dass sich die Regierung selbst erledigt, dass Schills Rechtspopulismus analog zu Österreich oder den Niederlanden an persönlichen Profilneurosen und Machtkämpfen scheitert. Dafür spricht wenig. Das interne Klima in der Regierungskoalition war über weite Strecken reibungsarm und ohne Animositäten. Lediglich nach der Bundestagsrede Schills bemühte sich die FDP als kleinster und unauffälligster Koalitionspartner ein- bis zweimal, sich gegen Schill zu positionieren. Doch einen Bruch der Koalition würden die Freidemokraten nicht riskieren. Das käme ihrer Rückkehr in die politische Bedeutungslosigkeit gleich. Und Schill selbst hat bei aller Unberechenbarkeit bisher immer gewusst, bis zu welcher Grenze er gehen kann, um die Koalition nicht zum Platzen zu bringen. Die Hamburger Politshow wird noch drei Jahre lang gespielt werden.