Wende im Bunkermord-Prozess

Erstmals sagt ein Angeklagter aus, mit der Pistole zum Töten gezwungen worden zu sein. Auch soll der Bruder der ermordeten Ayse Dizim in der Tatnacht am Bunker Valentin gewesen sein. Prozessbeteiligte belächeln neue Verteidiger-Strategie

Kaum waren die Leichen von Ayse Dizim (25) und ihrem Verlobten Serif Alpsozman (24) im August 1999 am Bunker Valentin gefunden worden, war die Familie der jungen Frau ins Fadenkreuz der Ermittlungen geraten. Vermutetes Tatmotiv: Die Tochter hätte mit der vom Vater missbilligten Beziehung zu Serif Alpsozman die Familienehre besudelt. Da habe der Vater den Tod der Tochter veranlasst – über die verbotene damalige kurdische Arbeiterpartei PKK, denn die versorgte Ayses Freund, der vom Kampf in den Kurdengebieten querschnittsgelähmt zurückgekehrt war. Aber alle Ermittlungen gegen den Vater wurden später mangels Beweisen eingestellt. Nach einem Bruder Ayses, einem höherrangigen PKK-Mann aus Holland, der in der Tatnacht in Bremen war, sucht die Polizei noch. Auch die Staatsanwaltschaft hätte Fragen an den Mann mit dem PKK-Namen Anter.

Gestern im Bremer Landgericht nun tauchte dieser Bruder wieder auf – und zwar erstmals in den Aussagen eines Angeklagten, der diesen Bruder Ayses in der Tatnacht am Bunker Valentin doch gesehen haben will. Der Angeklagte steht mit zwei weiteren Männern in einem Revisionsverfahren vor dem Bremer Landgericht, wo die drei in einem früheren Prozess zu elf und 13 Jahren verurteilt worden waren – wegen Totschlags im Auftrag der PKK. Ein Urteil, das der Bundesgerichtshof als zu milde und teilweise fehlerhaft gerügt hatte, das aber dennoch in Teilen rechtskräftig wurde.

So gilt als erwiesen, dass die drei Angeklagten Ayse und ihren Freund abends am Niedersachsendamm abholten, um sie umzubringen. Ayse Dizim wurde im Weserschlamm erstickt, ihr hilflos im Auto festgehaltener Freund zusammenschlagen und mit dem Auto überfahren. Als erwiesen gilt auch, dass keine Pistole im Spiel war und die drei Männer alleine waren.

Dem nun widersprach gestern der Angeklagte, der den Wagen damals gefahren hatte. Er will neben einem flüchtigen PKK-Kader namens „Servet“, den auch die Mitangeklagten als Auftraggeber beschuldigen – „die zwei müssen sterben“ –, nun auch Ayses Bruder am Tatort gesehen haben. Ebenso eine Pistole, mit der ihn sein mitangeklagter Cousin gezwungen habe, über den am Boden liegenden Alpsozman zu fahren.

Anwalt Karim Popal, der Ayses Vater im Prozess als Nebenkläger vertritt, schüttelt darüber nur den Kopf. Die Strategie, erneut die Familie der ermordeten Frau zu belasten, sei unglaubwürdig. Der Angeklagte widerspreche eigenen früheren Angaben.

Tatsächlich hatte dieser Angeklagte damals keine Pistole gesehen – obwohl er damit sich selbst und einen dritten Angeklagten hätte entlasten können. Motto: Wir konnten nicht anders. Er hätte aber riskiert, seinen im kurdischen Sozialsystem höherrangigen Cousin zu belasten. Das Gericht hatte dem Mann deshalb geglaubt.

Dass ausgerechnet er nun mit einer Kehrtwende die Familie der getöteten Ayse wieder ins Spiel bringt, hält nicht nur deren Anwalt Popal für bemerkenswert. Schon länger sind Prozessbeteiligte gespannt auf die Strategie der Verteidiger dieses Mannes.

Denn einer hatte im ersten Verfahren einen als Drahtzieher zu neun Jahren Haft verurteilten Bremer PKK-Regionalkader verteidigt, dessen Urteil rechtskräftig wurde. Nun wird er als Zeuge gegen die früheren Mitangeklagten aussagen müssen. Süffisant fragen Juristen: Mal sehen, wie der Verteidiger reagiert, wenn sein früherer Mandant gegen den jetzigen aussagen muss?

Eine erste Antwort scheint es nun zu geben: Den PKK-Regionalkader und früheren Mandanten seiner Verteidiger erwähnt der Angeklagte nicht. An seiner Stelle taucht Ayses Bruder auf – der als PKK-Mann gegen die Schwester vorgegangen sein soll.

ede