Die mit den Kühen reden

Im Kunstraum Kreuzberg zeigen zwölf kroatische Künstler und Künstlerinnen unter dem Titel „The Misfits“, wie sie sich offene Kommunikationsformen für den Balkan vorstellen

Als Weekend-Art erreichten die Bergwanderungen von Ilić Kultstatus

Weiße Schürzen, gestärkt und gebügelt, liegen in einer Vitrine. Sie gehören den Milchhändlerinnen auf dem Markt von Zagreb, die drei oder sechs Kühe im Stall haben. Ein Buch liegt daneben, in rot-weiß karierten Stoff eingeschlagen, in dem man unterschreiben kann: gegen die Anpassung des Milchhandels an die EU-Norm. Denn das würde, wie Kristina Leko im Vorspann eines Videos erklärt, das Ende des kleinteiligen Handels bedeuten. Dann gibt’s keine Sahne von Kühen, denen im Stall noch jemand Geschichten erzählt, und keine Gespräche mehr über dem Handel mit Quark. Dann werden die Milchhändlerinnen bald wirklich Gegenstand ethnologischer Forschungen und Musealisierung.

Leko, die sich mit dem Einfluss ökonomischer Veränderungen auf den Alltag beschäftigt, ließ auf dem Markt in Zagreb Quark und Sahne verschenken als Teil einer Performance. In der Ausstellung „The Misfits“, die zwölf Positionen konzeptioneller Kunst aus Kroatien vorstellt, sieht man das allerdings nur in wuseligen Videobildern. Erst bei den Texteinblendungen fällt der Groschen. Das ist der Nachteil der Ausstellung im Kunstraum Kreuzberg. Inhaltlich stellt sie eine hohe Bereitschaft der Künstler vor, sich nützlich in der Gesellschaft zu machen. Statt an ihrer Selbstdarstellung arbeiten sie an Instrumenten der Kommunikation. Die visuellen Sprachen aber zerbröseln in diesen Aktionen.

Bei Ivana Keser zum Beispiel liegt der Boden voller Zeitungen, taz und Tagesspiegel zumeist, die in ihrem Workshop „Indoktrinierungen“ Buchstabe für Buchstabe zerschnitten und zu Botschaften geklebt werden wie „Langeweile ist Luxus“. In einem Video von Aleksandar Battista Ilić mit dem viel versprechenden Titel „Community Art. Subversive Schönheit – Persönliche Freiheit in einer kontrollierten Gesellschaft“ sieht man junge Leute im Park abhängen. Für eine andere Aktion wanderte Ilić jahrelang jeden Sonntag mit zwei Freunden auf einen Berg: Als „Weekend Art: Hallelujah the Hill“ erreichten diese Ausflüge Kultstatus. Später ließen sie sich Fotos davon, wie sie in Flüssen baden oder im Schnee toben, auf den nackten Leib projizieren. Das ist dann wiederum abgebildet in der Ausstellungszeitung „Community Art. interfaces“, mit deutschen und englischen Texten über die Utopie der Freundschaft. Dieser kleinteiligen Verzettelung zu folgen ist etwas mühsam.

Direkter kommen die Botschaften von Vlado Martek. Schon am Eingang des Bethaniens fallen rote DIN A-4-Posters ins Auge: „Lesen Sie Gedichte von Gottfried Benn“. Martek liebt den Imperativ und das Paradox. Seine Pamphlete, die den Ungehorsam befehlen, liegen in ordentlichen Stapeln zum Mitnehmen aus. „Essen Sie Fleisch, um die Last der Kunst nicht zu empfinden. Essen Sie es ohne Unterbrechung, reichlich, roh, gebraten oder gekocht, wie es Ihnen lieb ist. Und der Hass wird steigen …“, schon sieht man im Geiste, wie dem hasserfüllten Künstler das Blut aus den Mundwinkeln tropft, während er im Copyshop steht.

Im ehemaligen Jugoslawien haben ästhetische Strategien der Camouflage eine lange Tradition. Amtliche Diktionen aufzunehmen, Klischees zu entsprechen, Anpassung als Karikatur: ausgefeilt sind die Wege der Ironie und der Schizophrenie, oft um den Preis, fast unsichtbar zu werden. Dieses Abtauchen aus der Öffentlichkeit, dieses Verstecken in der Szene Eingeweihter hat Mladen Stilinović in Arbeiten erfasst, die über ihre Bildwirkung funktionieren. In „Weiße Abwesenheit“ ist alles weiß zugemalt, das Zifferblatt der Uhr, die Brille, die Seiten des Wörterbuches – bis auf das Wort „pain“, das über jede zugemalte Textzeile geschrieben wurde.

KATRIN BETTINA MÜLLER

The Misfits, bis 24. 11., Di–So 14–19 Uhr, Kunstraum Kreuzberg/Bethanien, Mariannenplatz 2