Hans im Geiz – Klaus im Pech

Bundesfinanzminister Eichel bleibt knauserig. Er lehnt Hilfen des Bundes für seine hoch verschuldete Hauptstadt weiter ab. Berlin will jetzt vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe klagen

von RICHARD ROTHER

Das Gespräch dauerte nicht einmal eine Stunde, dann war gestern klar: Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) hatte mit seinem Parteifreund, Berlins Regierendem Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD), kein Erbarmen. Der Bund wird seiner bankrotten Hauptstadt freiwillig keinen müden Euro zusätzlich zur Verfügung stellen. Wowereit blieb dennoch gelassen. Er habe nichts anderes erwartet. Bereits am Dienstag kommender Woche will der Senat offiziell eine Haushaltsnotlage festellen.

Mit diesem Beschluss im Rücken wird der Senat dann noch einmal einen förmlichen Antrag auf Finanzhilfen beim Bund stellen. Wowereit fand gestern drastische Worte. Er hoffe, „dass der Bund Berlin nicht verhungern lässt“. In der Landesregierung rechnet allerdings niemand damit, dass sich Eichel erweichen lässt. Damit wird der Gang vor das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe notwendig. Der Senat bereitet eine entsprechende Klage zurzeit intensiv vor.

Wowereit erhofft sich vom Bund Hilfen über mehrere Jahre verteilt von mehr als 30 Milliarden Euro. Mit diesem Geld soll der Berliner Schuldenberg, der derzeit rund 46 Milliarden Euro beträgt und in den nächsten Jahren weiter anwachsen wird, abgetragen werden. Langfristig gesehen sollen so die jährlichen Zinsausgaben sinken, die den Landeshaushalt zurzeit schon mit mehr als 10 Prozent belasten. In diesem Jahr belaufen sich die Zinsausgaben auf rund 2,3 Milliarden Euro.

Eichel bestritt einen Anspruch Berlins auf Finanzhilfen. Schon jetzt erhalte Berlin rund 3,8 Milliarden Euro jährlich vom Bund, so ein Ministeriumssprecher. Dies entspreche 22 Prozent der Einnahmen. Berlin habe kein Einnahme-, sondern ein Ausgabeproblem. Die Pro-Kopf-Verschuldung der Hauptstadt habe sich seit 1991 nahezu verfünffacht. Bei den Einnahmen habe Berlin mit mehr als 5.000 Euro je Einwohner den mit Abstand höchsten Wert aller Bundesländer erreicht. Berlin stehe nicht viel schlechter da als andere Länder. Zudem habe Berlin seine Probleme zum Teil selbst verschuldet.

Der Senat stützt sich bei seiner Klage auf ein Rechtsgutachten, das ihm bescheinigt, unverschuldet in die Haushaltsnotlage geraten zu sein. Dies ist laut Grundgesetz Voraussetzung dafür, dass der Bund und die anderen Länder ihm unter die Arme greifen.

Bereits 1992 waren die Bundesländer Bremen und Saarland mit einer Verfassungsklage erfolgreich. Zur Beurteilung, ob eine Haushaltsnotlage vorliege, zog das Gericht damals zwei Kriterien heran: die Kreditfinanzierungsquote und die Zins-Steuer-Quote. Die Erstere betrifft das Verhältnis zwischen den öffentlichen Ausgaben, die über Kredite finanziert werden, und den Gesamtausgaben. Liegt diese Quote mehr als doppelt so hoch wie der Bundesdurchschnitt, kann von einer extremen Haushaltsnotlage des Landes gesprochen werden. In Berlin lag sie Ende 2001 bei knapp 22 Prozent, im Bundesdurchschnitt bei etwa 3 Prozent.

Die Zins-Steuer-Quote beschreibt die Relation der Zinsausgaben zu den Steuereinnahmen. In Berlin betrug sie Ende vergangenen Jahres rund 25 Prozent und war damit mehr als doppelt so hoch wie der Länderdurchschnitt, der bei ungefähr 11 Prozent lag. In Berlin wurden also mehr als ein Viertel der Steuereinnahmen für Zinszahlungen an Banken gebraucht.

Das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht dürfte allerdings Jahre dauern; im Falle Bremens und des Saarlandes nahmen die Verhandlungen rund sechs Jahre in Anspruch. So lange würde Berlin keine Hilfen bekommen, der Schuldenberg weiter wachsen.

Der Grünen-Finanzexperte Jochen Esser warnt bereits: „Weitere Verzögerungen werden nur noch teurer.“ Bundesfinanzminister Eichel sei nicht gut beraten, Berlin auf den Klageweg zu verweisen. Heute seien 30 Milliarden Euro zur Entschuldung Berlins nötig. Nach einem Urteil in fünf Jahren würden es fast 50 Milliarden sein. In Verhandlungen könnte Berlin milliardenschwere Vermögenswerte an den Bund übertragen, versucht Esser, Eichel zu erweichen. „Nach einem Gerichtsurteil wird das nicht mehr nötig sein.“

Eichel setzt dennoch offenbar auf Karlsruhe. Das könnte für ihn mehrere Vorteile haben: Bis zu einem Urteil müssen keine zusätzlichen Mittel fließen. Zudem ist längst nicht geklärt, wie das Bundesverfassungsgericht letztlich entscheiden wird.

Ein Urteil aus Karlsruhe hätte überdies den Vorteil, dass die anderen Bundesländer ins Boot geholt würden. Sollten die Karlsruher Richter Berlin eine Haushaltsnotlage attestieren, schließe die bundesstaatliche Hilfe die Beteiligung der anderen Länder ein, so ein Sprecher des Finanzministers.

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