Beben in Süditalien

Schuldach begräbt Dutzende Kinder und Lehrer unter sich: Mindestens sechs Tote. Regierung ruft den Notstand für die betroffenen Gebiete aus

ROM taz ■ Erst hörten die Menschen in Campobasso genauso wie in anderen Städten des süditalienischen Molise einen Donner und sofort darauf bebte gestern um 11.30 Uhr die Erde. Die Menschen eilten aus ihren Häusern, Schulen und Büros wurden evakuiert. Mit nur fünf Sekunden Dauer waren die mit 5,4 Grad auf der Richterskala gemessenen Erdstöße äußerst kurz; dennoch richteten sie Schäden an. Vor allem Altbauten in einigen Dörfern rund um Campobasso – dort lag das Epizentrum des Bebens – wurden stark beschädigt; mehrere Wohnhäuser und ein Kirchturm stürzten ein. Aber auch in den nördlichen Gegenden Apuliens waren Gebäudeschäden zu verzeichnen; so stürzte in Lucera das Dach eines glücklicherweise unbewohnten Palazzo direkt neben der Kathedrale ein.

Fühlbar war das Beben, dessen Zentrum offenbar tief unter der Erdoberfläche lag, in fast der gesamten Südhälfte Italiens von den Adria-Regionen Marken und Abruzzen bis nach Apulien, von Rom bis Neapel; dort strömten in mehreren Stadtvierteln Menschen in Panik auf die Straße. So schnell dort wie anderswo aber Entwarnung gegeben werden konnte – die Experten sprachen von einem „schweren, aber nicht katastrophalen Beben“ –, so dramatisch war doch die Lage in dem Dorf San Giuliano di Puglia im Molise. Vor dem Gebäude, in dem der Kindergarten, die Grund- und die Mittelschule des Ortes untergebracht waren, spielten sich wahre Verzweiflungsszenen ab; das Beben hatte das Dach des in den 30er-Jahren errichteten Stahlbetonbaus zum Einsturz gebracht und dabei bis zu 50 Kinder und Lehrer unter sich begraben. Relativ schnell konnten 20 Kinder verletzt geborgen werden. Um jedoch zu den anderen Eingeschlossenen vorzudringen, benötigten die Rettungsmannschaften schweres Räumgerät – Gerät, das wegen eines Brückeneinsturzes nur langsam herbeigeschafft werden konnte. Am Abend wurden fünf Kinder und eine Frau tot geborgen, acht geborgene Kinder befanden sich in kritischem Zustand. Über weitere Opfer in der Region lagen zunächst nur fragmentarische Angaben vor. Die Rede ist von einigen Dutzend teils Schwerverletzten.

Wie stark insgesamt die Infrastruktur der Region betroffen ist, war gestern noch nicht zu überblicken. Die wichtige Eisenbahnlinie vom im Binnenland gelegenen Campobasso zur Küstenstadt Termoli musste gesperrt werden, und auch für die Straßenverbindung zwischen den beiden Orten befürchteten die Experten des Zivilschutzes Schäden. Italiens Regierung rief für die Provinz Campobasso sofort den Notstand aus und dirigierte Zelte und Feldbetten um, die eigentlich für die Opfer des Ätna-Ausbruchs vor drei Tagen bestimmt waren. MICHAEL BRAUN