Eine deutsche Komödie?

Divergierende Einstellungen in künstlerischen Umbruchzeiten: Peter Konwitschny und Ingo Metzmacher setzen Wagners „Meistersinger von Nürnberg“ an der Staatsoper in Szene

von REINALD HANKE

Nürnberg zur Reformationszeit. Es sind Zeiten des Umbruchs. Um zu demonstrieren, wie hoch man in Nürnberg die traditionelle Kunst schätzt, hat Goldschmiedemeister Pogner beim alljährlichen Preissingen der Meistersinger auf der Festwiese seine Tochter Eva als Preis ausgesetzt. Doch diese liebt keinen der ortsänsässigen Meistersinger, sondern den frisch in die Stadt gekommenen Walther von Stolzing, der mit den strengen Regeln der Meistersinger-Kunst nicht vertraut ist. Dass er letztlich doch die Hand seiner Geliebten erlangt, haben die beiden dem weisen Schuster Hans Sachs zu verdanken.

Richard Wagners Die Meistersinger von Nürnberg ist ein Stück, bei dem sich Regisseure und Dirigenten einig sind: Dies ist Wagners einzige komische Oper. Dabei schreiben aber alle, auch die Verantwortlichen der neuen Hamburger Produktion, Ingo Metzmacher und Peter Konwitschny, das Wort „komisch“ mit kleinem Anfangsbuchstaben. Folgerichtig, denn Großschreibung würde auf die Gattung der Komischen Oper hindeuten. Eine Komische Oper aber, auch darin sind sich alle einig, ist Wagners Werk nicht. Stattdessen ergänzt fast jeder, der sich mit dem Stück befasst, dass es sich bei den Meistersingern um ein spezifisch deutsches Stück handelt.

Und so erweist sich die Bezeichnung der Meistersinger als komische Oper als zwar sinnfällige, jedoch eher oberflächliche Einschätzung mit wenig Aussagekraft. Sind die Meistersinger vielleicht doch weniger komische Oper, als vielmehr deutsche Komödie? Oder soll man das Werk ganz im Sinne der – für Wagner so wichtigen – griechischen Theatertradition als Satyrspiel begreifen, das den heiteren Ausklang dreier Tragödien darstellt? Könnte man Wagners monumentales Werk nicht am trefflichsten durch eine Formulierung von Thomas Bernhard charakterisieren, der von einer „Komödie von deutscher Seele“ sprach?

Man darf gespannt sein, ob die neue Hamburger Produktion Antworten auf diese Fragen geben wird. Klar ist bereits im Vorfeld, dass Regisseur Konwitschny den komischen Aspekt der Oper äußerst wichtig nimmt. Er hat dies ausdrücklich betont in seinen Ausführungen zum Stück, die er dem großen Ensemble um John Treleaven (Stolzing), Anja Harteros (Eva) und Wolfgang Schöne (Sachs) vorgetragen hat.

Genauso bedeutend findet er die kunstästhetisch-philosophische Dimension des Stücks. Schließlich geht es in den Meistersingern auch um die Auseinandersetzung verschiedener künstlerischer Grundüberzeugungen, die in ihren extremsten Ausprägungen vom Traditionalisten Beckmesser und dem Modernisierer Walther von Stolzing verkörpert werden.

Konwitschnys Dramaturg Hintze bezeichnet die Meistersinger als „die mit Heiterkeit und lächelnder Weisheit vorgetragene Darstellung eines Traumes von dem Deutschland, in dem Wagner hätte leben wollen. Ein Deutschland, das auf den idealen und lebendigen Werten der Vergangenheit, auf der Wahrheit und der Kunst basiert“. Damit ist der Blick einmal mehr auf den spezifisch deutschen Aspekt des Stückes gerichtet. Vielleicht erweist sich das in künstlerischen Umbruchszeiten spielende Stück in unserer heutigen Zeit der blockierten, dabei so dringend notwenigen gesellschaftlichen Umbrüche als Wegweiser. Regisseur Konwitschny und seinem Team wäre eine solche Interpretation zuzutrauen. Und Ingo Metzmacher am Dirigentenpult könnte durchaus der richtige Mann sein, um die szenischen Behauptungen musikalisch zu beglaubigen.

Premiere: Sonntag, 2. November, 16 Uhr, Staatsoper. Weitere Vorstellungen: 7., 13., 21.+27.11.